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VALIE EXPORT: Revolutionär und kontrovers, medial und real

Nach der Retrospektive von Jean-Michel Basquiat im Jahr 2022 (--> das artmagazine berichtete), präsentiert die Albertina die nächste radikale künstlerische Position aus der Empowerment Perspektive – die provokante Künstlerin VALIE EXPORT, die wichtigste österreichische und internationale Vertreterin feministischer konzeptueller Medien-, Performance- und Filmkunst, wobei die aktuelle Show sich vor allem an der Bedeutung der Medien Fotografie, Film und Video im Werk der Künstlerin abarbeitet. Dieses handelt in seiner Vielfalt von der Repräsentation des weiblichen Körpers im bewegten medialen Universum: Bild im Bild Konstruktionen, Konzeptfotografie, Videoinstallationen und urbane Fotoräume sind zu sehen. Die älteste der 160 gezeigten Arbeiten ist mit 1968 und die neueste mit 2009 datiert.

Und nicht anders wie bei den bisherigen Einzelausstellungen in der Albertina, vermögen die drei oder vier Vorzeige-Arbeiten, die das Publikum als Vorgeschmack im ersten Raum zu sehen bekommt, für das Profil und die Wahrnehmung der nachfolgenden Show bestimmend sein. Es mag stimmen, dass – so die Künstlerin – die Leute erneut „schockiert“ wären, wenn sie EXPORTs öffentliche Auftritte und aktivistischen Performances heutzutage unmittelbar erlebten. Ob sie gegenwärtig tatsächlich in gleichem Maße und auf ähnliche Art und Weise schockierend wirken, bleibt dahingestellt. Wenn die Ausstellungsbesucher:innen, die Rolltreppe in das Untergeschoß des Museums fahrend, mit EXPORTs legendärem Poster Aktionshose: Genitalpanik von 1969, das damals auf den Straßen Wiens im Rahmen einer Expanded Cinema-Aktion affichiert war, so frontal direkt, ohne jegliche narrative Ablenkung oder Kontextualisierung, über 50 Jahre danach konfrontiert werden? Ist man zeitgemäß gut beraten, das jeweilige plakative Skandalon so vordergründig im Albertina-Tempel platzieren zu müssen in einer Retrospektive, die in Absprache mit der Künstlerin neue, weniger bekannte Einblicke in ihr Oeuvre verspricht? Die sich auf dem Poster als punkig-revoltierende Frau stilisierende Künstlerin mit spitzem Lauf des Maschinengewehrs, einer Lederjacke und im Schritt offenen Hosen wirkt in Albertina statt bedrohlich oder verstörend eher verspielt theatralisch und vor allem in der Ära nach Sherman & Co suspekt unterhaltsam. Somit kann in dieser Präsentation die politische Sprengkraft der Arbeit EXPORTs, die sich gegen die sexuelle Instrumentalisierung der Frau in der Gesellschaft und vor allem in der Pornoindustrie richtete, nicht adäquat wahrgenommen werden.

Die unter dem Künstlernamen VALIE EXPORT auftretende Waltraud Höllinger (geb. Lehner) war in ihrer Art der gewagten Selbstinszenierung auch nicht allein. Im gleichen Jahr (1969) hat eine andere feministisch agierende, damals unbekannte Künstlerin – Ulrike Rosenbach – die Arbeit von Andy Warhol „Elvis“ zitierend, in männlicher Pose stehend ebenfalls schamlos auf das Publikum gezielt, allerdings ohne die aggressive und revolutionäre sexuelle Konnotation EXPORTs, einer Verdinglichung des weiblichen Genitals in der Pornoindustrie. „Art is a criminal action“ schrieb Rosenbach provokant. Zur Waffe und zum Schießen auf das Publikum aus Protest gegen die Einengung der gesellschaftlichen Normen und Gewalt gegen Frauen griff sogar die dem Feminismus gegenüber auf Distanz stehende Maria Lassnig in ihrer Malerei. Solche Umkehrungen der Rollen und offensichtliche Aneignung des Powerplay der Männer war Teil der jeweiligen weiblichen Wut-Strategie und Ästhetik. Dass diese Perspektive im Schaffen von VALIE EXPORT durch den Albertina-Kurator Walter Moser kommentarlos als so singulär hervorgehoben wird, und dass gerade dieses Motiv ausgewählt wurde (VALIE EXPORT-SMART EXPORT Selbstporträt wäre an dieser Stelle aber ideal) kann nicht weiter verwundern. Schließlich handelt es sich hier um das Exerzieren des männlichen Blicks und sexuellen Voyeurismus, die, wie man sieht, auch in der kritischen Umsetzung an Anziehungskraft nichts verloren zu haben scheinen.

In der zweiten kanonischen Aktion Tapp und Tastkino (1968-71), einer Performance gemeinsam mit Peter Weibel auf der Straße, wird durch das Berühren des nackten Busens der Künstlerin durch Passanten in der tragbaren und mit einem Vorhang versehenen Blackbox alias Kino wiederum das Verhältnis von Weiblichkeit und medialer Repräsentation, Körper und Blick, Raum und breite Öffentlichkeit reflektiert. Diese, wie auch andere Aktionen von EXPORT spielten immer vor laufender Kamera, den patriarchalen Blick des Kinos herausfordernd. EXPORTs starkes Interesse an Technik, Struktur und Wirkungsweise von bewegten Bildern und ihre Zuwendung zum populären Spielfilm in den 70er (Unsichtbare Gegner) nahm die filmaffine sogenannte Picture Generation vorweg.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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VALIE EXPORT
23.06 - 01.10.2023

Albertina
1010 Wien, Albertinaplatz 1
Tel: +43 1 534 83 -0, Fax: +43 1 533 76 97
Email: info@albertina.at
http://www.albertina.at
Öffnungszeiten: Tägl. 10-18h, Mi 10-21 h


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