Gurbette Kalmak / Bleiben in der Fremde: Weder hier noch da, sondern außenvor
„ŞU GURBETLİK ZOR ZANAAT ZOR“ “, was so viel bedeutet wie „Exil ist harte Arbeit“, steht da in fetten, roten Lettern geschrieben. Schon vom Foyer aus wird diese auf einer Plakatcollage Nil Yalters prangende Aufschrift durch eine transparente Glastür hindurch sichtbar, auch spiegelt sie sich im gläsernen Boden des Innenhofes, dem Ort der Installation, wider. Die Einzelteile dieses ineinander verschachtelten Triptychons folgen demselben Prinzip: Man nehme nur die das Fundament der Postercollage ausfüllenden Aufnahmen türkischer Arbeitsmigrant:innen im eintönigen schwarz-weiß, die mal klar hervortreten, dann verblassen, schließlich ihre Konturen vollständig verloren haben und wie Loopbewegungen repetitiv angelegt sind. Mittig ist ein unverfälschtes Foto zu sehen, darunter eine ausgebleichte Version davon, darüber lediglich die Umrisse desselben erkennbar, wobei mindestens das Antlitz der Personen ausradiert wurde. Die Figuren, sie werden in ihrer Stigmatisierung entschleiert. War ihre soziale Stellung eine randständige ohne Ausblick auf Teilhabe und Anerkennung, wird einem hier der Blick der pervertierten Gesellschaft aufgedrängt. Nimmt man sie ungewollt als Gesichtslose wahr, stellt sich ein Schamgefühl ein. Doch man nimmt sie wahr.
Die Ausstellung „GURBETTE KALMAK/BLEIBEN IN DER FREMDE“ nähert sich den sozial-politischen Verhältnissen angeheuerter Arbeitsmigrant:innen Westeuropas in den 1970er und 80er Jahren von innen heraus. Bemerkenswert dabei ist, dass die ausgewählten Künstler:innen vom Schicksal der zwischen zwei Welten Stehenden sprechen und sich dabei selbst nicht ausnehmen. Bedacht klappert die aus Positionen fünf Kunstschaffender bestehende und von Nina Tabassomi und Gürsoy Doğtaş kuratierte Schau - letzterer ist seines Zeichens selbst Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie - Genres von bildender Kunst über Literatur und Fotografie bis hin zum Spielfilm ab. Das klappt nicht zuletzt so gut, weil sich die Positionen ineinander verzahnen und gegenseitig anstoßen. Sind die Gemälde des türkischstämmigen Hanefi Yeter im ersten Raum von der physischen Erfahrung unzugehöriger Außenstehender geprägt, schreibt Semra Ertan in poetischen Gedichten die bereits angedeuteten irreparablen Kluften und Schäden aus einer der Mehrsprachigkeit bedingten Sensibilität heraus fort, ehe ihre Nichte Cana Bilir-Meier dieses Spiel basierend auf den Worten Ertans in einem Videoessay weitertreibt. Selbst der 90 Minuten andauernde, an die Bildsprache Fassbilders erinnernde Spielfilm des Iraners Sohrab Shahid Saless mit dem Titel In der Fremde/Dar Ghorbat groovt sich in den Gesamtkontext ein. Er funktioniert, weil er mit langen Einstellungen und spärlichen Schnitten bereits nach kurzer Zeit die monotone Arbeitswelt der „Gastarbeiter:innen“ widergibt, sowie er zwischen kühler Arbeitsatmosphäre und harmonischer Wohngemeinschaft changiert.
Der Blick haftet zunächst auf Yeters Gemälden, die wie im türkischen Raum gängige Miniaturporträts anmuten, lediglich auf ein größeres Format transferiert. Integrationsparadigmen werden alleine schon durch den Mehrwert selbstverständlich scheinender Multikulturalität hinterfragt, sie geben Antwort auf die in der Zeit aufkommenden Forderungen nach Anpassung, zeigen untergründig auf, was dabei verloren geht. Die künstlerischen Positionen geben aber auch die Kühle wieder, die den Personen entgegenweht, die Unmöglichkeit, überhaupt Anschluss zu finden. Mitunter gleichen die häufig auftretenden Fensterscheiben als Metapher in Yeters Werk diesen undurchdringbaren Zugängen zur „neuen Welt“, die den ankommenden Arbeitsmigrant:innen verwehrt bleiben. Was sich im Gemälde Abschied – einem Ort in der Schwebe und einer (Zug)Fahrt ernüchternder Hoffnung ohne echter Ankunft - abzeichnet, separiert dann in Kinderwünsche ungezwungen im Freien spielende Einheimische von den trübselig aus dem besagten Fenster blickenden „Anderen“. Von bloßer Duldung geht es ins Extrem der Ignoranz und behördlichen Empathielosigkeit, bis hin zur gesellschaftlichen Gleichgültigkeit: Wie Yeter dann Porträts von emigrierten Menschen mit Arbeitsverträgen und Ausreiseverpflichtungen bedruckt, schlägt unmittelbar die Brücke zu Semra Ertans Gedichten, wobei sich beide Positionen durch Kontraste aufschaukeln. Das 1976 entstandene Werk Zurück ist Beispiel dafür: Im Zentrum sehen wir eine in ihrer Würde dargestellte Frau, darüber schreibt sich ihre nüchterne, in Rot die besiegelte, innerhalb eines Monats zu vollziehende Ausreiseaufforderung. Ertans Zugang ist noch existentieller, was nicht zuletzt ihre Selbstaufopferung, ihr öffentlicher Freitod als letzte Konsequenz, suggeriert. Ist ihr poetisches Spiel mit Begriffen wie unheimlich glücklich und heimlich unglücklich bedingungslos, gleicht ihre Sprache einem Spiel zwischen Leben und Tod, weil sie zu den polyglotten, immer pluralen Bedeutungszuschreibungen zurück geht und hinter lapidaren Oberflächlichkeiten gräbt, bis alle Differenz klar zutage tritt. In Vitrinen ausgestellte Zeitungsberichte und Dokumente legen ebenso Zeugnis davon ab, wie deutsch-türkische Originalmanuskripte aus dem Nachlass.
Im Untergeschoss der Ausstellung, ziemlich am Ende des Rundgangs, begegnet einem dann die Postercollage Nil Yalters nochmals, diesmal aber in der englischen Version „EXILE IS A HARD JOB“. Es ist wie ein Flashback. Begleitet von im Kreis angeordneten SD-Videos– sie gelten auch als Ausgangspunkt aller anderen ausgestellten Werke der Künstlerin – zeigt sie türkische „Gastarbeiter:innen“ gerade durch Sichtbarmachung ihrer verwehrten Existenz in ihrer Individualität und fügt eine Klammer um das Gesehene. In Dialog tritt die Videoinstallation mit einer gegenüber auf der Wand hängenden Arbeit aus dem Jahr 2016, eine Polaroid-Kette an digitalen Aufnahmen, die wiederum mit Verpixelungen und Verzerrungen der Gesichter spielt. Der Schwenk hin zur heutigen politischen Realität ist nicht weit.
Wenn die Schau etwas missen lässt, dann ebendiese aufpoppenden Aktualitätsbezüge weiter in die Gegenwart zu spannen. Da „GURBETTE KALMAK“ als erster Teil in eine Ausstellungtrilogie eingebettet ist, macht den eng gezogenen Fokus auf die Wurzeln und die konzentrierte Zusammenstellung wiederum nachvollziehbarer und eine unbedingte Fortschreibung ins Heute – so sie denn in den kommenden Ausstellungsteilen kommt – nicht unbedingt nötig.
18.03 - 18.06.2023
Taxispalais Kunsthalle Tirol
6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Str. 45
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