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Baselitz. Nackte Meister: Hose für Meister

Georg Baselitz (Jg. 1938) gilt als einer der Großen in seinem Hauptfach Malerei. Das mag zum Vergleich mit den alten, vormodernen Meistern im Kunsthistorischen Museum (KHM) Wien einladen, was man dort als „visuelles Gespräch“ unter „nackten Meistern“ verkauft. Auch über Geschmack ließe sich streiten. Doch selbst ausgemacht Gestrige wissen heute, dass „Meisterschaft“ ein Mythos ist, als Konzept erledigt. Die Geschichte der modernen Kunst basiert wesentlich auf der Dekonstruktion von Meisterschaft samt dem Zwillingsfundament aus Genie und Können, deren Reste sich deshalb nur umso besser verwerten lassen. (Die Edition, die der Künstler für das KHM aufgelegt hat, ist ausverkauft.) Baselitz hat selbst an der Entzauberung von Meisterschaft aktiv mitgemischt – nicht nur als Maler.

Seit seinem ersten inszenierten Ausstellungsskandal 1963 hat er sich wieder und wieder als Veröffentlichungsstratege versucht. Wenn er mit routinierten Spießigkeiten – á la Malen ist Männersache – gleichermaßen Spießer und Progressive kitzelt, setzt Baselitz die gut-moderne Tradition des bürgerlichen Bürgerschrecks fort. Klar, der konzeptuelle Kniff, die Bilder Kopf stehen zu lassen – und sie nicht einfach „upside down“ oder, wie im Leopold Museum, pseudoaktivistisch schief aufzuhängen, sondern den Kopfstand ins Bildkonzept aufzunehmen – hat sich als erstaunlich effizient erwiesen. Baselitz‘ „Wald auf dem Kopf“ (1969) kam just zu der Zeit, als die Abstraktion an Drive verloren hatte, die figurative Malerei als ewiges Steckenpferd der Traditionalisten bei Progressiven wenig galt und stattdessen konzeptuelle, von der angestammten Werkform abgelöste Kunst „in“ war. Mit seinem Kniff gelang ihm, die ur-deutschen Register des Akademismus (Held, Wald, Schäferhund) und des Expressionismus (schwere Hand, dicke Soße, große Geste) zu einer zeitgemäßen und vor allem vom internationalen Kunstmarkt gern goutierten Melange „Made in Germany“ zu verquirlen. Seine besseren Bilder – etwa „Die großen Freunde“ (1965) – lagen damals aber schon hinter ihm. Seither hat Baselitz viel, wenn nicht zu viel gemalt, Stichwort „Remix“ oder Ropac, je nachdem.

„Baselitz. Nackte Meister“ nennt sich nun sinnfrei eine Schau im KHM, die – offenbar ganz nach Anweisung des Künstlers – Haus-Kurator Andreas Zimmermann nominell, faktisch aber wohl eher Baselitz‘ international sehr erfolgreiche Galerie betreut hat. Der PR-freundliche Fokus liegt dabei auf dem Genre „Akt“, freilich ohne sich über dessen historische und aktuelle Spezifika Gedanken zu machen. Wer käme auch wegen kunsthistorischer Kompetenz ins KHM?

Die Ausstellung zeigt sich als sinnbefreites Cut’n‘Paste von 70 Baselitz-Arbeiten seit den 1970er-Jahren neben vierzig hauseigenen Werken u. a. von Correggio, Rubens und Tizian – das Ganze mit ausstellungsinszenatorisch ausgesprochen ungelenker Hand an die aufwändig leer geräumten Wände gepatscht. Die bessere Nachricht zuerst: Im ersten Saal misslingt zwar das versprochene „visuelle Gespräch“ zwischen einigen typisch kopfstehenden Porträts des Künstlers und seiner Frau („Fingermalerei männlicher/weiblicher Akt“, 1972) und den beigegebenen Cranachs mangels transhistorisch tragfähiger Gesprächsgrundlage. Doch zeigen die Bilder immerhin Baselitz‘ damalige, gebrochene Modernität. Blöd, dass auf den halbwegs passablen ersten noch vier weitere große Säle samt anliegender Kabinette folgen. Darin viel Flachware aus zurecht namenlos ausgewiesenem „Privatbesitz“ der letzten zweieinhalb Jahrzehnte. Museumsexpertise, kuratorische Verantwortung dagegen Fehlanzeige. Besser zögen sich Meister und Museum schnell mal eine Hose an.

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

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Baselitz. Nackte Meister
07.03 - 25.06.2023

Kunsthistorisches Museum
1010 Wien, Burgring 5
Tel: +43 1 525 24 0
Email: info@khm.at
http://www.khm.at
Öffnungszeiten: Di-So 9.00-18.00


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