CIVA - Intangible Care: Caring is creative
Zum dritten und letzten Mal fand heuer wieder das Festival für zeitgenössische immersive und virtuelle Kunst CIVA statt. Neben einem Kurzfilmprogramm in Kooperation mit Vienna Shorts, einer Performance in der Volkstheater Dunkelkammer und einem Get Together in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer Österreich stand dabei eine von Eva Fischer und Martina Menegon kuratierte Ausstellung im Belvedere 21 im Mittelpunkt.
Eingebettet in den Kontext des Phygitalen stand die diesjährige Ausgabe unter dem Titel „Intangible Care“. Care trat über die verschiedenen Arbeiten der sieben eingeladenen Künstler:Innen hinweg vor allem als eine Form der Fürsorge auf, die als mentale Angelegenheit verstanden ist. Sie bezeichnet hier den eben nicht direkt materiell greifbaren Akt der Achtsamkeit, der interessierten Zuwendung. Care als Recherche, als Dekonstruktion und Befragung, die produktiv wirksam werden kann.
Die Arbeiten von Angela Washko und Morehshin Allahyari greifen dabei am unmittelbarsten auf Recherchearbeit zurück. Mit „The Game: The Game“ (2018) ist aus der Auseinandersetzung Angela Washkos mit sogenannten Pick-Up Artists ein Videospiel entstanden, in der die Protagonistin den übergriffigen Praktiken männlicher Bar-Besucher ausgesetzt ist. Das Frauenbild, das sich in den perfiden Taktiken der Männer offenbart, ist eigentlich unglaublich – aber wahr. Ein echter Albtraum. Das simple Gamedesign entfaltet unmittelbar Wirkung, nicht zuletzt auch wegen des dröhnenden Soundtracks. Wie die Protagonistin auch, ist sich dem nicht zu entziehen.
Moreshin Allahyari hat in „Material Speculation: ISIS. South Ivan Series Material Speculation: ISIS. South Ivan Series“ (2015-16) drei vom ISIS im Irak zerstörte assyrische und römische Reliefs als 3D-Drucke wiederhergestellt. Dass den Kopien Speicherkarten mit Druckdaten und Recherchematerialien, die über Kabel verbreitet werden können, implementiert sind, hebt die Zerstörung der Originale aus den Angeln und trägt der immateriellen Seite von Kultur Rechnung.
Wer wir sind, wieviele und wer das bestimmt – Fragen nach der Konstruktion von Identität und Welt stellen sich bei Josèfa Ntjam und Kumbirai Makumbe. In Koproduktion mit Sean Heart schöpft Josèfa Ntjam im Kurzfilm „Melas de Staurne“ (2020) aus dem metaphysischen Potential, das angesichts der „neuen“ digitalen Welt entsteht, einer Welt, deren Sprache, Dimension und Stofflichkeit einen poetischeren Umgang mit dem Sein initiiert. „In the loneliness of collectivity, I am Persona“ wiederholt der Avatar hier zwischen rhythmisch-monumentalen Verskaskaden und während sich eine Schlange durch die gerenderte Wasserwelt windet.
Etwas weniger bild- und wortgewaltig, dafür vielleicht klarer legt Evo als Avatar von Kumbirai Makumbe in „Evo‘s Turn“ (2019) eine Analogie zwischen dem Konzept von blackness, verstanden als soziales Konstrukt in Abhängigkeit von whiteness, und der Seinsart von Künstlicher Intelligenz. „Maybe black is silver“ (Evo) – vielleicht ist Schwarz wie Silber, und besteht immer nur in seiner Reflektion eines Antagonisten.
Der Körperpflege und Mode, zweier Säulen des modernen Konsums, haben sich Tina Kult und Stefanie Moshammer angenommen. In „What I am disappears – Power & Sleep“ (2022) versucht Tina Kult das Bad in der heimischen Wanne von seiner schier unlösbaren Klammer der Optimierungsgesellschaft zu lösen, und die Entspannung, die im Wasser gesucht wird, nicht mehr nur im Dienst der Profitmaximierung zu suchen.
Stefanie Moshammer verbindet die Oberflächlichkeit der Werbe- und Modeindustrie, die gleichzeitig soziale Verhältnisse zementiert, mit der Funktionsweise von künstlichen Intelligenzen und der durch diese reproduzierten biases („She is but a cute catwalk“ // „She’s not alone she brings a garment“, 2022).
Eine Rückzugsort zum Rasten haben Susanne Kennedy & Markus Selg im hintersten Teil der Ausstellung gestaltet („IN MY ROOM“, 2023). Auf dünnen Futons kann man hier in ein Ambiente der phygitalen Formensprache eintauchen, diesem Mix aus archaischer Natur, Pixelwelt und Glitches.
Insgesamt ist im Ausstellungsdesign das Körperliche mitgedacht. Vor den Bildschirmen sind Matten ausgelegt. Kopfhörer stellen überall die Verbindung zwischen Werk und Rezipient:Innen ganz wörtlich her.
Immer wieder bekräftigt sich die Leseart des Caring als Engagement in den Arbeiten. Sei es als partizipatives Videospiel, sei es als Angebot zum Ziehen von Datenmengen. Trotz, oder gerade wegen der wenigen zusätzlichen Informationen, die den Arbeiten mitgegeben ist – nur ein Flyer bietet im physischen Raum selbst kurze Statements der Künstler:Innen – erreichen die Werke den:die Rezipient:In. Dabei hilft, dass viele Arbeiten ihren Text selbst mitbringen.
Es ist eine nahbare Ausstellung geworden dieses Jahr, und es könnte daran liegen, dass, versteckt hinter einem bewusst offenen Titel und dem zukunftsgerichteten Vokabular des Phygitalen Urprinzipien der Künste durchscheinen. Denn das utopische Potential einerseits, auch ein gewisser normativer Anspruch, der aus den Arbeiten im B21 spricht – und sei er auch negativ formuliert – und das Entspringen der Werke aus einer intensiven Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen, Menschenbildern, Geschichte und (sozialen) Räumen sind Vertraute der Kunstgeschichte. Was dabei mitunter verloren geht, ist die autonome Werkgestalt und wenn man so will, die Schönheit. Nicht so in diesem Fall.
17 - 26.02.2023
Belvedere 21
1030 Wien, Schweizergarten/Arsenal-Straße 1
Tel: +43 1 795 57-0
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere21.at
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h, Mi, Fr bis 21 h