Kay Walkowiak - Eternal Now: Wo ist die Zeit?

Es dauert ein paar Sekunden bis man die Uhr in der neuen Einstellung wiedergefunden hat, und für diesen Moment verliert sich die Zeit in einer Schwebe. Ohne zu stoppen verliert sie ihre Referenz, wie eine See ohne Sonnenstand. Bis sich Blick und Gehör in der neuen Umgebung wieder zurechtgefunden haben und sich das Tick-Tlick-Tack--- des Sekundenzeigers wieder in seiner Klarheit aus der für einen Moment leeren Zeit herausschält.

Alle 60 Sekunden wechselt in Kay Walkowiaks Film „Traces of Time“ (2021) die Einstellung. Jede zeigt mindestens eine laufende Uhr im unbewegten Bildausschnitt. Die Uhren hängen an der Wand neben Bildern von Gottheiten, über Werbebildern und Rauchverboten, sie stehen auf Regalen zwischen verpackten Zigarettenschachteln und Softdrinks. Die Orte zeigen sich verwandt im allgegenwärtigen Dasein der Ventilatoren, der Spuren von Konsum und von Glauben. Vor allem schließen sie aber durch das kontinuierliche Fortschreiten des Minutenzeigers aneinander an, der von Bild zu Bild an letzter Stelle aufgegriffen wird. Menschen kommen nur in Spiegelungen vor, aber man kann sagen: wo der Mensch kauft, glaubt und hitzt, da ist die Zeit. Vielleicht ist auch nur dort, wo der Mensch ist, die Zeit.

Manchmal ist das Ziffernblatt eckig, meistens aber rund, oft mit Sekundenzeiger, selten kommt es ohne aus, mal ist jede Minute einzeln markiert, einmal nur die volle Stunde. Obwohl alle mehr oder weniger ähnlich, hat doch jede Zeitmessung ihren eigenen Charakter. Fast aus dem Muster fällt die eine Uhr, deren Zeiger zwischen den Sekunden keinen Halt macht und seine Runden rastlos durchzieht. Walkowiak verzichtet auf Alternativen wie Sonnenuhren und ähnliche; bis auf den wandernden Zeiger finden sich auch keine anderen Zeichen vergehender Zeit. So bleibt der Fokus auf einem universellen Zeitvergehen, losgelöst vom arbiträren Einzelfall, der in einem kulturellen Vergleich in den Vordergrund rücken würde.

Trotzdem sind die Geschäfte, in denen die abgefilmten Uhren stehen einzigartig und lokalisierbar, ganz eindeutig bestimmbare Orte auf der Welt. Über die Ausstattung, Schrift und so weiter erzählt sich auch das kulturelle Setting, sogar eine gewisse Historizität liegt in den Relikten der britisch-amerikanischen Hegemonie, der französischen Aufklärung – jeder Ort hat seine Koordinaten und seine Geschichte. Aber sie verfließen miteinander im Gemeinsamen der Zeit. So wird das präzise Now here zu einem raum- und zeitverlorenen „Nowhere“ (2023), deutet das stählerne Schild gegenüber der Projektion vielleicht an. 

Eine Stunde lang decken sich so Erzählzeit und erzählte Zeit. Wenn sich alle Zeiger im Norden bei der 12 treffen bricht die Synchronisation entzwei und jede nimmt wieder ihren eigenen Lauf auf. Die Unendlichkeit des Moments, die für diese Stunde zum Loop aufgerollt war, klappt wieder auf zum Strahl ohne Anfang und Ende.