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A Gift to the Dark: Der zwanglose Zwang der Freiheit der Kunst

Das „Unheimliche“, sagt Freud, sei „jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht“. Unheimlich sei nicht nur das, vor dem man eine „intellektuelle Unsicherheit“ – Orientierungslosigkeit, Unwissen – empfinde, sondern das, vor dem einst Bekanntes aber nun Verdrängtes wieder hervorbreche.

„A Gift to the Dark“, kuratiert von Sayori Radda für VIN VIN, versammelt Arbeiten von acht KünstlerInnen zu diesem Thema des Unheimlichen und beruft sich explizit auf das Zusammenfallen des Unheimlichen mit dem Heimlichen. Der etwas stolpernden Übersetzung „unhomely“ wird damit der Vorzug vor „uncanny“ gegeben.

Freud zeigt in seinem Aufsatz von 1919 („Das Unheimliche“) einige Motive, in denen das Altvertraute aus dem Unterbewusstsein hervordringt zur Illustration auf. Doppelgängertum; Animismus; Zweifel an der Beseelung von eigentlich Beseeltem; die Beziehung zum Tod; Wiederkehr des Gleichartigen; Verschwimmen der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Gerade Letzteres ist angesichts der Freiheit von Kunst zu kontrafaktischen Behauptungen ein spannendes Feld. Wie können Möglichkeiten und Grenzen einer künstlichen Welt derart behauptet werden, dass der Bruch mit diesen als Bruch wahrgenommen wird, und nicht als kohärenter Teil der ohnehin erfundenen Welt? Die Literatur und der Film haben hierbei den Vorteil, die Regeln einer Welt über einen längeren Zeitraum etablieren zu können. Malerei und Skulptur müssen die Regeln, die sie auf dem Weg zum Unheimlichen brechen wollen, in einem abgeschlossenen Moment zur Entwicklung bringen. Über so etwas wie christlicher Ikonografie, also Darstellungskonventionen und geteilte Narrative, konnte früher auch mit den begrenzten Mitteln eines einzigen Bildes eine fiktive Welt behauptet werden. Heute haftet allen Kunstwerken dagegen ihr Objekt-Sein an. Nur schwer entkommen sie der Lebensrealität. Die Kunstwerke, die alles sein dürfen – künstlich sein dürfen – können nicht anders als dabei dabei immer auch Nicht-Kunstwerke zu sein – Material, gemacht zu sein.

India Nielsen greift deshalb kurzerhand auf so explizit lebensweltliches zurück wie Bärenfell und Leder. Die Authentizität des Materials wird in seiner Verwendung als Künstliches (Künstlerisches) unheimlich („Interesting Poetry Vol. 1 (I-III)“, 2019). In einer weiteren Arbeit von Nielsen küsst die Kunstfigur „Slim Shady“ (a.k.a. Eminem, a.k.a. Marshall Mathers) einen Fan und lässt Wirklichkeit und Vorstellung zusammenfließen („My tongue is a vessel (Slim Shady kisses a fan at a concert, 1999), 2022).

Statt sich Authentischem zu bedienen, das ins Künstliche abgleitet geht Paulina Aumayr den gegensätzlichen Weg. Mit den künstlichen Mitteln von Farbe und Leinwand spiegelt sie die Alltagsrealität. In „Wieder da“ (2022) ist eine Frau im Badezimmer dargestellt. Das Spiegelbild, in das sie blickt, ist für uns nicht zu sehen. Die alltägliche Situation ist durch Blutflecken, die im Waschbecken am Porzellan herabrinnen gefährlich aufgeladen, ein Gefühl, das sich in der erhöhten Betrachterperspektive noch verstärkt. Treffend sind die verschwimmenden Grenzen zwischen Sehen, Sein und gesehen werden, zwischen Innen und Außen in einer angedeuteten Verdopplung des Waschbeckens ausgedrückt, angesichts derer die Welt ins Wanken gerät.

Ansonsten sind in vielen Arbeiten „unheimliche“ Motive relativ direkt aufgegriffen: die Dunkelheit, deren Dunkel erst durch den Schein eines Kerzenlichts richtig dunkel wird; Augen und Spiegel als Medium der Seele oder Verdopplungseffekte; Todes- und Auferstehungssymbolik wie Zypressen, Dornenkranz und Lilien; Porzellanpuppen. Zwei Arbeiten stechen daneben noch hervor: Alex Macedos „S. t. (Botter Paris)“ (2022) dadurch, dass die Leinwand, auf der ein Lackschuh zum Sneaker mutiert, auf Bodenniveau gehängt ist, dem Motiv entsprechend. Zweitens das Gemälde „The daydream“ (2021) von  Georgia-May Travers Cook. Eine Frau sitzt hier in rotem Kleid mit weitem Dekoltée in einem Sessel, und noch einmal in einem Spiegelbild knapp neben ihr. Wie einen Galgen legt sie mit spielerischer Geste zwei Zöpfe ihres Haars um ihren Hals.

In diesen beiden Arbeiten wird etwas deutlicher, inwiefern das Unheimliche mit seinem Gegensatz zusammenfallen kann und das Vertraute zum Unbekannten wird. Die bloße „intellektuelle Unsicherheit“, die sich angesichts der Offenheit einiger Werke (auch der Kunst im Allgemeinen) einstellt, reicht für ein „Unheimliches“ nicht – erst recht, wenn der Beliebigkeit nicht sogar mit Gleichgültigkeit begegnet wird. Insgesamt verlegt sich die Ausstellung vielleicht etwas zu sehr, einen Affekt zu erzielen – wie gesagt kein einfaches Unterfangen – anstatt eine kritische Auseinandersetzung anzustreben.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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A Gift to the Dark
14.01 - 11.02.2023

Vin Vin
1030 Wien, Hintzerstraße 4
Tel: +43 699 11209624
Email: mail@vinvin.eu
http://vinvin.eu


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