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House of Challenging Orders: Zu gute Kunst

Schon komisch: auf der einen Seite attackieren Leute Bilder im Museum im Namen der wichtigsten Agenda, die vorstellbar ist. Statt aber über den Zweck zu sprechen – den Klimaschutz, eigentlich die Erhaltung der Menschheit – wird die Form diskutiert – der Bildersturm – und als gewalttätig, kurzatmig, gefährlich oder kontraproduktiv verurteilt. Die Mehrheit ist sich einig: der Zweck heiligt nicht alle Mittel, schon gar nicht, wenn die Scheinwelt des Museums in die Realität der Klimakrise hineingezogen wird, und die Echokammer der Kunst einen Moment lang den Lärm der Straße hineinlässt.

Auf der anderen Seite passiert gleichzeitig eine Kunstausstellung wie die Vienna Art Week, mit dem Titel „Challenging orders“, einem ähnlich großen Anspruch also, der von Mut zeugt, wobei etwas mehr Besonnenheit mitschwingt als in der „Letzten Generation“. Das System soll nicht gleich gesprengt werden, sondern nur einmal herausgefordert, die große Dringlichkeit sieht man noch nicht. Jedenfalls positioniert man sich schonmal als Opposition, die Sympathien gehören schließlich immer den Kleinen. Man hat das Recht, und das Gute auf seiner Seite. Ein Titel wie ein Heiligenschein. Und von allen Wänden hallt die Gewissheit der moralischen Rechtmäßigkeit zurück. Die zwei Ereignisse gleichen sich insofern, als dass sie einen ähnlichen Zweck verfolgen: es soll Aufmerksamkeit geschaffen werden, auf Missstände verwiesen und letztlich eine Verbesserung der Verhältnisse angestrebt werden.

Jetzt ist Kunst aber nicht nur eine Frage des Zwecks, sondern auch – man sollte meinen, vor allem – eine Frage der Mittel, der Form, der Art und Weise. Und die Mittel sind im Fall der künstlerischen Arbeiten (der Art Week) oft, zu oft, Aufklärung und Dokumentation – per Definition eigentlich nicht-künstlerische Formen, zielen sie doch auf Neutralität und Sachlichkeit. Da wird dann das Videoreisetagebuch vom Besuch einer Samenfarm in Indien zur künstlerischen Arbeit, oder das Anpinnen der österreichischen Statistik zu Femiziden, und als Legitimation dieser Form hängen Plakate der Guerilla Girls mit Fakten und kritischen Fragen an allen Wänden. Dabei müssten gerade sie eine Mahnung sein, dass es nicht genügt ein bisschen Recherchearbeit zu leisten und Requisiten auszustellen.

Dass sich das Dokumentarische sehr wohl auch als künstlerische Form eignet, zeigt eine Arbeit der „Yes Men“. Ihnen gelang im Jahr 2000 ein kleiner Coup, als sie im Namen der World Trade Organisation auf einer Konferenz in Salzburg auftraten und alle Teilnehmenden erst mit einer provokanten Rede und dann mit einer inszenierten Vergiftung des Redners narrten („Untitled“, 2000). Du sollst nicht lügen? Außer im Namen der Kunst.

Bei über 40 ausstellenden Künstler*innen sind natürlich auch Arbeiten dabei, die sich nicht allein darauf verlegen für soziale Gerechtigkeit oder den Erhalt der Artenvielfalt einzutreten, sondern auch tatsächlich kreativ werden: Gerald Straub hat ein Whistleblower-Telefon installiert und lädt dazu sein, an ausgewählten Würstelständen Informationen abzugeben – interessanter dürfte es vielleicht sein, dort Informationen einzuholen, was nämlich auch möglich ist („Einmal Info mit Senf“, 2022). In Ting-Jung Chens „Revolutions per minute“/ „Foucault’s Pendulum“ (2020/2022) tönen Siegesreden der Faschisten wie der Alliierten des 2. Weltkrieges aus Lautsprechern, dazu schwingt ein Stein als reale Gefahr durch den Raum. Und Rah Eleh nimmt mit „Supernova“ (2018), einer galaktischen Talentshow, die Unterhaltungsindustrie in einer dicht gestalteten Videoarbeit aufs Korn.

Es soll der Einwand erlaubt sein, dass ein Verständnis von Kunst, das nur die Form in die Pflicht nimmt, naiv ist und zynisch. Dass Provokation nur um der Provokation willen auch nicht die Antwort sein könne. Und vor allem, dass Kunst nicht abseits der Realität spiele, sondern gesellschaftliche Verantwortung mittrage. Aber die Teilhabe der Kunst an der Realität anzuerkennen bedeutet auch, die Echokammer der Kunstwelt als solche zu sehen und als Ordnung, die es herauszufordern gilt, die moralische Überheblichkeit dieser Blase auszumachen. Für eine Ausstellung, die mit „Challenging Orders“ übertitelt ist, fehlt es an Giftigkeit, Bösartigkeit, an Reibungsfläche. Anstatt dieser Konformität dann doch lieber Naivität, Zynismus und selbstgenügsamer Provokation. Der Kunst ihre Freiheit – auch vom Richtigen und Guten.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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House of Challenging Orders
19 - 27.11.2022

Vienna Art Week
1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 140
https://www.viennaartweek.at/


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