Werbung
,

mixed up with others before we even begin: „Kuchu“ dies, „kuchu“ das

Es sind schwere Zeiten für die Verfechter*innen von Vermischung: nachdem die Pandemie die Schattenseiten der Globalisierung aufdeckte und jeden Kontakt zu Anderen als Gefahr erscheinen ließ, haben die Konsequenzen der Energieabhängigkeit in diesem Jahr für einen Sinneswandel gesorgt: Das neue Ideal ist Autarkie. Auch der grenzenlose Austausch online wird in Frage gestellt. Es scheint, dass nicht alle mit allen können, und deshalb vielleicht auch nicht sollten. In diesem Licht nimmt Kollaboration zunehmend den Charakter von Kontamination an.

Das mumok will dem gegenarbeiten und kehrt in Fortsetzung der vergangenen Ausstellung („Kollaborationen“), von welcher Teile der Architektur übernommen wurden, nun mit „Kontaminationen“ den positiven Wert von Vermischung hervor.

Dafür wird auf das kreative Potential verwiesen, dass zum Beispiel der Vergiftung des eigenen Körpers durch psychoaktive Substanzen (Fliegenpilze) inneliegt, wodurch Zugriff auf alternative Formen der Erkenntnis erlangt werden soll (Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová, „Nothing Nowhere Into Something Somewhere“, 2015/2022). Oder es werden binäre Kategorien wie männlich-weiblich und Technik-Natur um eine dritte Klasse erweitert: queer (Nilbar Güreş) beziehungsweise Kunst (Nicolás Lamas), ohne allerdings Stichhaltigkeit zu entfalten.

Bei Leilah Babirye passiert eine Umdeutung durch die Gegenüberstellung eigener Arbeiten mit solchen der klassischen Moderne: nicht nur geht dabei ein bisschen Glanz der Picassos, Giacomettis und Lassnigs auf die eigenen Keramiken über, auch wird der Akt der kulturellen Aneignung von damals durch die Überschreibung der Klassiker mit Titeln in der Sprache Luganda umgekehrt. Immer mit dabei ist der Begriff „kuchu“ – „queer“ – als Betonung der Grenzüberschreitungen.

Eine Veränderung des Sinns findet auch in den Arbeiten der Gruppe Slavs and Tatars statt. Hier passiert die Kontamination im Übertrag von einer Sprache in die Andere, was zu durchaus humorvollen Ergebnissen führen kann. So bedeutet „Odbyt“, das wörtlich als „vom Sein“ zu übersetzen wäre, auf Polnisch „Rektum“ und integriert die slawische Präpositon „ot“, dessen kyrillisches Zeichen vom Omega abgeleitet ist und die Form eines doppelt geschwungenen Bogens hat – oder eines Hinterns: Ѿ.

Das „mixed up with others bevor we even begin“ – der Untertitel der Ausstellung – als Behauptung, dass der Urzustand nicht die Reinheit sei, sondern ihr Gegenteil, wird über die Arbeiten hinweg nicht wirklich deutlich. Am ehesten noch in Mariana Castillo Deballs „El `dónde estoy` va desapareciendo“ („Das `wo ich bin` ist dabei zu verschwinden“, 2011). In einer als Fries angelegten Bilderzählung wird hier die wechselhafte Geschichte eines südamerikanischen Volksstoffs aus vorkolonialer Zeit verfolgt, aus der Perspektive des Objekts, das mehr und mehr zu einem melting pot mutiert, in dem sich die Spuren der Geschichte eingraben.

Letztlich bietet „mixed up with others“ zwar eine breite, aber punktuelle, und zeitgemäße, aber nicht aktualisierende Bestandsaufnahme des Diskurses um die Souveränität des biologischen Individuums und der kulturell-historischen Verflechtungen.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

mixed up with others before we even begin
26.11.2022 - 10.04.2023

mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
Email: info@mumok.at
http://www.mumok.at
Öffnungszeiten: Täglich: 10.00–18.00 Uhr, Do: 10.00–21.00 Uhr


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: