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Florian Pumhösl: Abstraktion und Sorgfalt

Was macht eigentlich die Abstraktion? Einst war es derart selbstverständlich, dass die seinerzeit „moderne“ Kunst „abstrakt“ – also frei von allen repräsentativen, referenziellen oder realistischen Anliegen – zu sein hatte, sodass man beide Wörter gefahrlos synonym benutzen konnte. Solche Kunst kam damals vor allem in Form von Malerei und Skulptur vor. Nicht, dass es keine andere gegeben hätte. Heute empfiehlt sich vor allem diejenige Kunst als zeitgenössisch, die von ihrem „realen“, material, konzeptuell und kontextuell bedingten Kunstsein möglichst abstrahiert, als Produktivkraft unmittelbar in den gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeiten ihrer Zeit aufgeht. Ihr Kunstwert wäre damit eingelöst, sich „nützlich“ gemacht zu haben – was auch immer das im konkreten Fall heißt und wer auch immer das bewerten kann. Gerade gute Geister sind schwer zu fassen. Selbstverständlich gibt es auch heute Formen der Kunst, die nicht ganz so gut ins allgemeine Stimmungsbild passen. Ganz zu schweigen, dass die verschiedenen Milieus der großen weiten Kunstwelt kaum auf den Nenner des „Allgemeinen“ zu bringen sind.

Was Florian Pumhösl (Jg. 1971) in seiner siebten Soloschau im Berliner Ableger der Galerie Buchholz macht, gehört zu den künstlerischen Formen, die so aussehen, als wären sie komplett aus der Zeit gefallen. Der Wiener Künstler zeigt eine handverlesene Auswahl in den letzten beiden Jahren entstandener Arbeiten, die er – mutwillig tautologisch? – „Verformte Reliefs“ nennt. Es sind große, dünne, monochrom blau oder petrol eingefärbte Platten, die man getrost in die Tradition abstrakter Malerei einrücken könnte, stünde nicht das ostentativ „Gemachte“ im Vordergrund, während sich das „Wie“ der Herstellung zugleich der Anschauung entzieht. Die „Reliefs“ sind aus einem oder mehreren plastisch erhabenen Graten gebildet, die, zumeist quer über das Format gezogen und wie aufmontiert, eine Art minimalistischer Lineatur ergeben. Die Linien mögen dabei an zufällige Risse erinnern, liegen aber, wie gesagt, erhaben – Schatten werfend – auf der Bildfläche. Sie gehen, laut Pressetext, auf Zeichnungen zurück, die in diese Reliefform übersetzt werden.

Als Material für diese gleichermaßen sehr abstrakten und sehr stofflichen Bildobjekte verwendet Pumhösl dünne Bleibleche, im Prinzip Dachdeckermaterial, dessen Qualität als Bildträger etwa ein Günter Förg in den frühen 1980er-Jahren erkundet hatte. Die Zeichnungs-Grate sind, technisch betrachtet, das Ergebnis von Faltungen. Diese, gemessen am Bildergebnis, superaufwändige Machart verschwindet gleichwohl unter der homogen aufgesprühten, textil-matten Acrylfarbschicht. Wer bestimmen will, was genau das ist und wie es hergestellt wurde, ist auf das Hand-out zur Ausstellung angewiesen. Zugleich ahnt man, dass diese Objekte schon unter der kleinsten unsachgemäßen Berührung empfindlich leiden.

Als Bildobjekte weder besonders „schön“ und noch „nützlich“, erinnern mich die „Verformten Reliefs“ allerdings nicht automatisch an Luxus, sondern an so ziemlich die meisten Dinge und Ereignisse, denen ich im Alltag begegne. Denen ist freilich zu wünschen, sie wären Effekt einer vergleichbaren Sorgfalt, wie sie Pumhösl bei der Konzeption und Herstellung dieser Werkgruppe aufgebracht hat. „Care“, die im aktuellen Kunstlingo viel beschworene Sorgfalt, ist aber halt sehr viel leichter gesagt als getan.

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

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Florian Pumhösl
16.09 - 29.10.2022

Galerie Daniel Buchholz
10719 Berlin, Fasanenstraße 30
Tel: +49 30 88 62 40 56, Fax: +49 30 88 62 40 57
Email: post@galeriebuchholz.de
http://www.galeriebuchholz.de/
Öffnungszeiten: Di-Sa 11-18 h


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