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Mahlzeit: Fünf-Gänge-Menü, querbeet

Womöglich ist es die grundlegendste Kultur, zumindest jene, mit der alle jeden Tag notgedrungen etwas zu tun hat: Esskultur. Geht es ganz allgemein um Nahrungsaufnahme berührt dies nicht nur kulturelle Aspekte, ebenso werden körperliche, psychische, soziale, wirtschaftliche, religiöse, politische Themen verhandelt.

Der „Mahlzeit“, so auch der Titel der Schau, widmet das Dom Museum Wien seine eben noch laufende Jahresausstellung. Man erinnert sich: Es sind stets die große Themen, denen sich das Haus am (Stephans-)Platze annimmt, Jahrhunderte überspannend, mit relevanten Fragestellungen und überraschenden Konstellationen. Nach „arm und reich“, dem vorhergehenden Thema, wäre es eigentlich die Idee gewesen, so Johanna Schwanberg, kuratierende Direktorin des Museums, ein Thema in den Fokus zu stellen, das mehr „Lust und Freude vermittelt“, doch „stellte sich im Zuge des kuratorischen Prozesses immer mehr heraus, wie sehr die Essensthematik an die beiden vorhergehenden Ausstellungen – jene über die Mensch-Umwelt-Beziehung und jene über ökonomische Ungleichheiten – anschließt und wie viel ernster sie eigentlich werden wird, als ursprünglich von uns intendiert.“ Doch soviel sei verraten, die Ausstellung hat durchaus auch heitere Momente zu bieten. Das beginnt bereits beim surreal anmutenden Platkatsujet von Izumi Miyazaki, auf dem die Brokkoliröschen frei zum Fang durch die Lüfte schweben. Eines davon konnte die Künstlerin bereits aufgabeln und wartet verfeinert mit einem Saucenklecks auf den Verzehr. Alleine, dass zudem eben jene Sauce der Protagonistin aus der Nase in den Mund zu laufen scheint, kehrt das heiter Surreale etwas ins Ekelige.

Wie bereits die vorhergehenden Ausstellungen folgt auch „Mahlzeit“ keiner Chronologie sondern ist gleichsam als Menü in fünf Gängen angelegt und setzt vielfach auf überraschende wie inspirierende Kombinatorik. Gleich zu Beginn im Abschnitt der sich dem ersten und letzten Mahl widmet, geht es freilich um das Stillen und das gemeinsame Tafeln in einer Christlichen Ikonografie wie auch als Alltags- oder Genreszene. Neben diesen naheliegenden Klassikern dokumentieren die Bildgedichte Heinz Cibulkas die ewigen Kreisläufen des Lebens auf dem Lande. Sinneslust und Vergänglichkeit rückt den Überschwang des Stilllebens ins Zentrum, wobei die die Pracht mitunter als Fake herausstellt, bei ihrer Transformation zur Ungenießbarkeit beobachtet, wenn sie nicht überhaupt, wie im Falle der Fotografien von Taryn Simon, vorab vernichtet wird. Für ihre Serie „The American Index of the Hidden and Unfamiliar“ arrangierte die Künstlerin am Flughafen JFK Nahrungsmittel, die Einreisenden aus Angst Seuchen oder Schädlinge einzuschleppen, abgenommen und in kürzester Zeit vernichtet werden. Bei den Tischgemeinschaften bittet Götz Bury zu einem gar nicht intimen Tête-à-Tête de Luxe. Gedeckt ist für ein vielgängiges Menü an den Enden einer langen, schmalen Tafel, dem Visavis kann man nicht in die Augen blicken, denn ein Tafelaufsatz und zwei Etageren mit Obst verstellen die Sicht und überhaupt ist das dargebrachte Arrangement aus kalt glänzendem Stahl, das sich bei näherer Betrachtung als zweckentfremdete Waschmaschinentrommeln, Staubsaugerrohre und Besteckteile identifizieren lassen. Thema für Thema, Raum für Raum, treten sakrale Sujets wie lithurgische Gerätschaften zugunsten kritischer, aktueller Positionen zurück. Nach „Alleinesein und Selbstreflexion“, wo Marina Abramović, Daniel Spoeri oder Maria Lassinig ihre singulären Auftritte haben, geht es bei „Politik auf dem Teller“ wohl um eine drängende globale Problematik, die hier weniger mahnend als eindrücklich dargestellt wird. Thierry Boutonnier doziert in seiner Reihe „Produktionsziele“ vor Weizen, Hühnern oder Kühen, wie ihr Dasein als Nahrungsmittellieferant optimiert werden kann, während Veronika Merklein mit dem Produkt FATlife rasche Gewichtszunahme positionieren möchte. Mit Gregg Segals Serie „Daily Bread“ hingegen kommt man über die Essensgewohnheiten von Kindern in aller Welt ins Grübeln. Die Nahrungsaufnahme von einer Woche ist samt dazugehörigen Essenswerkzeug um die Heranwachsenden herum angeordnet und aus der Vogelperspektive aufgenommen. Alles in allem kommt all das sehr bunt, vielfach sehr verpackt und nicht immer unbedingt sehr gesund daher. Doch es sind gerade solche Arbeiten, die in ihrem kleinteiligen Durcheinander viel aussagen, über den Stellenwert und täglichen Umgang von Mahlzeit(en).

Was vorerst als Ausstellung lustvoll heiter konzipiert war, ist dann doch auf einer durch alle Generationen hindurch gut zu vermittelnden Leichtigkeit nachdenklich geworden. Man kann getrost darauf vertrauen, dass die nächste Jahresausstellung mit einer vergleichbaren Aufmerksamkeit geplant und umgesetzt wird, wenngleich das Thema von vornherein nicht das Erbaulichste ist. Mit „Sterblich sein“ wird es ab 06. Oktober um die letzten Dinge gehen.

Mehr Texte von Daniela Gregori

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Mahlzeit
29.09.2022 - 27.08.2023

Dom Museum
1010 Wien, Stephansplatz 6
Tel: +43 1 515 52 3300, Fax: +43 1 515 52 2599
Email: info@dommuseum.at
http://www.dommuseum.at/
Öffnungszeiten: Mi, Fr, Sa, So 10-18, Do 10-20 h


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