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Parallel Vienna: Überforderung als Konzept

Er ist wieder „gelandet“, der Alien unter den Kunstmessen, wie der künstlerische Leiter Stefan Bidner bei der Pressekonferenz anmerkte. Erstmals im Jahr 2013 im hitorischen Post und Telegrafenamt inszeniert, vaziert der Hybrid zwischen Kunstmesse und Präsentationsforum für die aktuelle Kunstszene durch diverse Leerstände der Bundeshauptstadt und hat zum 10-jährigen Jubiläum wie schon 2021 zwei Gebäude der ehemaligen Semmelweisklinik im 18. Wiener Gemeindebezirk besetzt und reizt die Publikumsüberforderung so weit wie möglich aus.

Gut 170 Räume der ehemaligen Geburtsklinik, von OP-Sälen in denen noch die Lampen von der Decke hängen, über die Räume in denen Badewannen einst für eine sanfte Geburt sorgten, bis zu ehemaligen Toiletten und Abstellkammerln wabert Kunst durch zwei mal vier Stockwerke. Den Messecharakter bekommt die Parallel von den 50 teilnehmenden Galerien, die aber durchwegs nicht den Bauchladen „Querschnitt aus dem Galerieprogramm“ ausbreiten, sondern sich auf ein bis maximal drei Künstler:innen beschränken. Dazwischen mischen sich ebenso viele „Project Statements“ und rund dreißig „Artist Statements“. Die Bandbreite ist weit und reicht etwa von einer poetischen Rauminstallation der ungarischen Künstlerinnen Karina Mendreczky und Katalin Kortmann-Járay bei der Galerie Rudolf Leeb, die eine begehbare Landschaft aus floral-humanoiden Elementen in einem ehemaligen Laborraum inszenieren, bis zum giftig-gelben und lauten Anti-Kriegs-Statement des in Moskau geborenen Georgij Melnikov. Selbst für mitgebrachte Hunde ist vorgesorgt – die Galerie am Lindenplatz zeigt einen von der Liechtensteinischen Künstlerin Martina Morger eingerichteten Aufenthaltsraum für vierbeinige Begleiter. Dem Ort angemessen hat Lucas Cuturi für sein „Curator Statement“ die Italienerin Margherita Grasselli ausgesucht, die eine kleine, heile Kinderwelt im Krankenhaus aufgebaut hat.

Für freundliche Stimmung sorgen auch Vanessa und Daniel Mazanik, die ein rundes technisches „device“ das entfernt an ein Gesicht erinnert an der Rückwand ihres schmalen Kämmerchens installiert haben. Mit grün blinkenden Augen-Lichtern werden Besucher:innen näher gebeten und zum lächeln aufgefordert, wofür sich die Maschine dann auch artig bedankt.

Die Galerie Bechter Kastowsky, die ebenfalls ihr zehntes Jahr feiert, tut dies mit Werken von Martin Schnur aus unterschiedlichen Schaffensjahren. Lukas Feichtner überlässt seinen Galerieraum Raphael Pohl, dessen sparsam gesetzte Objekte die Geschichte, die der Künstler dazu bereitwillig erzählt, zwar nicht direkt vermitteln, aber in ihrer Reduziertheit ohnehin breiten Interpretationsspielraum lassen. Dagegen wirken manche Artist Statements recht zusammengebastelt, oder es werden Arbeiten uninspiriert gegen die vorhandene Architektur oder jeweilige Raumsituation gehängt.
Klassisch als Messestand inszeniert aber damit nicht weniger beeindruckend sind die Arbeiten von Flavia Mazzanti, die Martina Schafschtzy mit ihrem Room of Fine Arts aus Graz bei der Parallel präsentiert. Der mehrfach ausgezeichnete hybride Kurzfilm „Sympoietic Bodies“ der Absolventin der Akademie der bildenden Künste Wien, verbindet den menschlichen Körper mit architekturphilosophischen Theorien von urbanen Systemen. Dazu gibt es großformatige Fotostills und, so man das noch will, auch NFTs.

Platz hat die Parallel auch für gesellschaftlich wichtige Projekte wie die Initiative „unsichtbar“, deren Initiatorin Livia Klein sexualisierte Gewalt in den von ihr Ausstellungsprojekten sichtbar machen will und ebenso dabei sind die drei österreichischen Kunsthochschulen sowie die Bundesländer Oberösterreich, Salzburg und Steiermark. Eine eigene kleine Ausstellung ist dem Andenken der dieses Jahr verstorbenen Künstlerin Brigitte Kowanz gewidmet.

International ist die Parallel Vienna nur in kleinem Ausmaß. Laura Mars aus Berlin war schon im vergangenen Jahr dabei, diesmal mit den Gebäuden von Matias Bechtold, Sanatorium aus Istanbul zeigt das Projekt Poems From Instant Messaging (ASMR) von Berkay Tuncay und die Galerie Heckenhauer aus München zeigt Fotografie von Peter Neusser. Ganz wie bei den großen internationalen Kunstmessen gibt es auf der Website einen Shop, über den die Teilnehmer:innen Kunstwerke verkaufen können.

Auch wenn es so nicht geplant war, ist die Parallel Vienna über die Jahre zur größten und aktuell kontinuierlichsten Kunstmesse Österreichs avanciert, die noch dazu die Lebendigkeit der heimischen und speziell der Wiener Kunstszene sichtbar macht.  

Mehr Texte von Werner Remm

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Parallel Vienna
06 - 11.09.2022

Semmelweisklinik
1180 Wien, Eingang: Hockegasse 37
https://parallelvienna.com/
Öffnungszeiten: Mi-Fr 13-20, Sa, So 12-19 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
ärgerlich
Brigitte Huck | 14.09.2022 07:23 | antworten
Und ja, das ist persönlich : vor zerstörerischen Energien sei gewarnt ! Rudolf Leeb tarnt sich heute als Galerist, sein Einsatz als Vollstreckungsgehilfe beim Vernichten der Bawag Foundation bleibt unvergessen ! Brigitte Huck

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