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Emil Schumacher und die Form seiner Zeit: Das Potenzial der Geschichte

Design des 20. Jahrhunderts und Malerei von Emil Schumacher sind eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Verbindung, die das ihm gewidmete Museum in Hagen mit dieser Ausstellung eingeht. Tatsächlich lebte der expressiv malende Künstler mit seiner Familie inmitten eines Mobiliars zeitgenössisch-nordeuropäischer Prägung. Zudem war Hagen vor 120 Jahren, dank Karl Ernst Osthaus, mit Bildender Kunst, Architektur und angewandter Gestaltung eine der Wiegen der Moderne in Deutschland. Direktor Rouven Lotz und der Sammler Sebastian Jacobi nahmen beide Aspekte zum Anlass dieser an Exponaten sehr umfangreichen Schau.

Der Parcours spannt sich chronologisch auf, beginnt um 1900 und reicht knapp bis zum Jahr 2000. Pointiert werden die Objekte von Kunstwerken aus der jeweiligen Zeit begleitet, erwartungsgemäß mit Werken von Emil Schumacher, darüber hinaus mit Skulpturen und Bildern von Umberto Boccioni bis Heinz Mack, eigenwertig und nicht illustrativ eingesetzt. Den Einstand machen Arbeiten, die den lokalen Zusammenhang zur Hagener Gartenstadt Hohenhagen stiften, an der Peter Behrens, Henry van de Velde und Jan Lauweriks beteiligt waren und die den ausgehenden Historismus in neue Gestaltungen transformieren. Es folgen Werke aus dem Umfeld des Bauhauses, die geschickt Unvertrautes mit Bekanntem kombinieren, von der Typenküche Erich Dieckmanns (1927) hin zum Lattenstuhl ti24 von Marcel Breuer. Schon mit den 1930er Jahren verschwenkt der Fokus auf Italien, der im weiteren Verlauf dominant bleibt, da hier die historische Linie der Ästhetik nicht im selben Maße wie in Deutschland unterbrochen wurde. Der Akzent liegt dann klar auf Möbeln und Lampen, also einem Teilbereich des Designs und übergeht auch weitgehend die innovativen Konzepte der Ulmer Hochschule für Gestaltung, bis auf den signifikant schlichten Hocker Max Bills und Hans Gugelots (1954). Auch das nordische Design wird eher gestreift, immerhin mit dem Bachelor Chair von Verner Panton (1953) aus dem Haus Emil Schumachers, der allgemein die Ökonomie in der Wahl der Mittel und Materialien für modernes Design belegt.

Diese effektive Sparsamkeit zeigt schon der Triennale Tisch von Mario Asnago und Claudio Vender (1936), einer weiß lackierten Eisenkonstruktion mit schlichter Glasplatte. Weniger geht kaum. Eine Pendelleuchte aus Messing, die um 1930 von einem unbekannten Designer in Italien entworfen wurde, eine Röhre mit asymmetrisch platzierten Glühbirnen, wirkt in ihrer Form noch mehr aus der Zeit gefallen. Vollkommen avanciert. Gleiches gilt für zwei ebenfalls anonyme konstruktivistische Sesselchen aus den 1920er Jahren, die dem Mailänder Memphis-Design ein halbes Jahrhundert vorauseilen. Solche beiläufig eingestreuten Werke überraschen den vertrauten Blick und etablieren, en passant, eine neue Zeitlinie und einen alternativen Kanon. Das gilt so auch für Achille Castigliones Stehleuchte Toio von 1962, dem Anschein nach eine Fahrzeugscheinwerferlampe. Auch die in den 1980 Jahren allgegenwärtige Tizio Tischlampe von Richard Sapper vom Hersteller Artemide stammt bereits aus dem Jahr 1972.

Nur selten zeigt sich ein Hauch Didaktik, etwa in der Parallelisierung einer Schale von Bruno Munari (1960) von Danese, die mit einem leichten Behältnis für Fast-Food unserer Zeit gezeigt wird. Entlang einfacher Schnitte wölben sich die Flächen aus Messing und einem ephemeren Material zum Behältnis. Ein ähnliches Prinzip besitzt der aus Eisen gefertigte Stuhl Lambda von Marco Zanuso und Richard Sapper, entworfen für Gavina. Bei aller Reduktion darf es auch exzentrisch werden, wie bei dem Knotted Chair von Marcel Wanders (1995/96) oder Dante della Torres Stuhl psico-sedia (1962) für Pozzi e Verga.

Die Objekte der Sammlung Sebastian Jacobi, der selbst auch Händler und Restaurator ist, weisen im Übrigen einen bemerkenswert sensiblen Umgang mit den Artefakten auf, denn er respektiert die Spuren des Alterns und Gebrauchs, wie dem Hocker Modell MR 80/9 (1929), dessen Korrosionsspuren sichtbar sind und die aufwändige Technik der Verchromung nachvollziehbar machen. Die auch heute noch beliebte Sitzgelegenheit war nach Aussage des Mies van der Rohe-Experten Sebastian Jacobi ursprünglich kaum zum Sitzen geeignet, auf Grund seiner anfänglich mangelnden Stabilität.

Bei all den Stühlen fehlt es der Ausstellung ein wenig an Ruhepunkten, denn die vielen Exponate laden zur längeren Betrachtung ein. Manche Beschriftung hätte für Menschen geringerer Größe niedriger angebracht werden müssen und man hätte sich auch fotografische Aufnahmen aus dem Haus Emil Schumachers gewünscht. Keramik, Porzellan und Mode hätten das Bild erweitert, vermutlich dann auch verwässert. Die Betrachtung des Formwandels erfordert Reduktion. Aber noch mehr wäre zu wünschen, dass diese, hier nur in Teilen sichtbare Sammlung, der Öffentlichkeit auf Dauer zugänglich wäre. Genauso bleibt zu wünschen, dass Rouven Lotz diese Öffnung des Hagener Ausstellungskonzepts fortführt, die Hagener Geschichte bietet Potenzial, das in dieser hohen Qualität weiter in die Gegenwart getragen werden kann.

Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Emil Schumacher und die Form seiner Zeit
24.04 - 28.08.2022

Emil Schumacher Museum
58095 Hagen, Museumsplatz 2
Tel: +49 2331 3060066
Email: info@esmh.de
http://www.esmh.de
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


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