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Blind Date: Vom Gegenstand gegenstandsloser Kunst

Zwei Sammlungen, die sich noch nicht zuvor getroffen haben, aber durchaus ähnliche Interessensschwerpunkte hegen, haben sich in der neuen Jahresausstellung des Museum Liaunig zu einem „Blind Date“ verabredet. Was zunächst – dem Titel nach – als eine spontane Absprache anmutet, wie sie von Internetbekanntschaften gepflegt wird, die meistens bei einer einmaligen bleibt, da die Interessenskonflikte im Real Life doch überwiegen, wird hier zum Ausgangspunkt eines inhaltsreichen Dialoges mit „Happy End“ von dem man sich nur weitere Begegnungen und vielleicht sogar eine Liaison erhoffen kann – insbesondere, weil die Ausstellung keineswegs spontan und zufällig, sondern klug durchdacht konzipiert ist. Den Ausgangspunkt, wie es so oft ist, bildet ein Konsens, um dann in weiterer Folge durchaus Pfade loser Parallelen, Querverweise, eigenständiger Zugänge und befruchtender Differenzen zu beschreiten. Und wie der Zufall so will und der 1888 geborene, bei der Documenta 1 und 4 beteiligte Künstler Josef Albers in beiden Sammlungen die erste Nummer in den jeweiligen Inventarlisten belegt, leiten seine Ölstudie Heraldic Red sowie zwei Werke der Serie Homage to the Square - ineinander geschachtelte Vierecke in unterschiedlichen, meist unvermischt von der Tube auf den Malgrund gebrachte Farben - den Beginn der Schau ein. In ersterem trifft grelles Rot auf blasses Orange-Rot auf dunkles Grau, in letzterem Gelb auf Hellgrau. Der Farbkontrast und die Kongruität der Gestalt, die Wechselwirkung zwischen den „factual facts“ als objektive optische Bedingungen und den „actual facts“ als subjektive sinnliche Seh-Erfahrungen, macht es aus. Anders gesagt „Nur der Schein trügt nicht“, so ein Zitat von Albers selbst, womit wir bereits mitten in der Thematik der Ausstellung sind, die sich der Wirksamkeit konkreter Kunst auf unsere Sinne, der Farb-, Form- Linien- und Flächenwirkung in Korrelation mit der subjektiven visuellen Wahrnehmung, der Harmonie und Ruhe in Kontrast zur Spannung, sprich allem was konstruktivistische Kunst ausmacht, widmet. So ist ein Themenblock dem Zusammenwirken von Farbe und Form gewidmet – ansehnlich dargelegt in dialogisch angelegte Werkpaaren. Etwa wenn Dorothee Golz‘ Chairs to Share - aneinandergereihte Stühle, die formal und farblich durch die Nichtbefolgung von Regularitäten ihre Funktionalität aufbrechen - in Bezug zu einer an der Wand aufgebrachten pinken Mondsichel von C.O. Paeffgen gestellt werden. Wobei die Stühle dann bewusst zum Platz nehmen einladen und der eigentlichen Forderung des Berührungsverbotes von Kunst entgegenstreben, mehr noch, die eigentlich dysfunktional gewordene Stuhlreihe wieder mit einer Funktionalität beleben, die aber ganz so nicht aufgehen kann, da der Begriff des Readymades wie er auf Chairs of Share zutrifft, immer mit einer Negierung ursprünglicher Funktion oder überhaupt Funktion an sich – jenseits der Kunst – zu tun hat.  Abermals lässt sich mit Albers Satz „Nur der Schein trügt nicht“ argumentieren.

Durchaus auf diese Annahme aufbauend ist auch der Themenkomplex Farbe und Ordnung, der an die herausgestellten Farb- und Formenspiele angrenzt. Dass dabei die auf geometrische Formen beruhende Wirklichkeit auch aus ihrer Abstraktion gehoben werden kann, zeigt sich beispielsweise in der Arbeit Cult des US-amerikanischen Malers Peter Halley. Die Acrylarbeit erinnert an ein langgezogenes vertikales Fenster im Raum, verweist auf den architektonischen Rationalismus der westlichen Gesellschaft und führt so die Vorstellung des Konstruktivismus als abstrakte Kunst ohne Gesellschaftsrelevanz ad absurdum. Darauf basierend zeigt sie, wie eine charakteristische zellenartige Struktur der Geometrie unser Leben ordnet – Parallelen kann man übrigens schon in eigenem Wohnzimmer mit der meist geometrisch konstruierten Fensterfront erkennen.

Bezüge zu Malewitschs Suprematismus – Die gegenstandslose Welt poppen auf. Mit radikal minimalistischen Formensprachen wie Imi Knoebels Figur H und als Kontrast dazu Vera Molnár mit ihren geradezu chaotisch-dynamischen Strukturen und Formen hat man dann tatsächlich das erreicht, was unter der Subsumtion der Begriffspaare Ruhe und Spannung fällt. Auf die Spitze getrieben wird dieses Gegensatzpaar dann mit der Gegenüberstellung von Hermann Painitz‘ chaotisch anmutenden, kreisförmig angeordneten Farbelementen und Hellmut Bruchs aus rotem Acrylglas bestehender Arbeit Konzentrische Progression im Quadrat. Das vierteilige Werk mit Maßen von je 89 × 89 × 1 cm, das aus nichts als drei ineinander verschlungenen Kreisen besteht, orientiert sich nicht nur am Goldenen Schnitt, sondern will zeitgleich dem bedingungslosen Sterben nach Harmonie, der Immaterialität des Lichts und der Ästhetik des Maßes durch Zurückhaltung Rechnung tragen. Painitz probiert sich hingegen in der Hektik von Farbenkonstellationen aus, bei einer doch zeitgleichen Gebundenheit an ein Regelsystem und dessen Aushebelung – ähnlich des hier etwas adaptierten Ordnungssystems der Farbenlehre. Eine Zwischenposition bildet hier Jorrit Tornquists Arbeit OP. 216. Ein scheinbar homogenes Violett, das sich erst bei genauerer Betrachtung in voneinander differenziere Rechtecke unterschiedlichster Farbtöne minimalster Abweichung aufsplittet und so selbst zwischen Ruhe und Hektik, Gleichmäßigkeit und Heterogenität, changiert.

Mit Hellmut Bruch kündigt sich bereits der Themenblock von Farbe und Licht an, ansehnlich durch die tänzelnden quadratischen Strukturen eines François Morellet in Relâche n° 7 weitergeführt, reflektierend in Edgar Knoops Lichtkinetische Stele aus Acrylglas und Stahl, die noch dazu auf die Partizipation des Betrachters zielt. Gipfeln kann ein solcher Dialog in Karl Hikades Wandobjekt Nave two das aus nichts anderem als zwei Acrylplatten besteht, die die In-Situ Situation, also die umgebenden Installationen wie jene von Morellet, sichtbar ins Werk einbeziehen. Basierend auf der Lichtthematik ist es dann nur eine Frage der Ausdifferenzierung, der Erscheinungsform der Transparenz, Raum zu gewähren. Raum ist dabei durchaus das Stichwort, denn mit der Entscheidung des Kuratorinnenteams Alexandra Schantl und Franziska Straubinger mit diesem Themenblock ins lichtdurchflutete Foyer zu wandern, wird auch den Werken selbst Rechnung getragen. Die Arbeiten verändern sich so abhängig von Tageslicht, Sonneneinstrahlung, Dunkelheit und Wetter und problematisieren das Verhältnis von Licht und Werk, von Opazität und Transparenz am eigenen Beispiel. In Dialog gebracht wurden Beispiele von Cornelius Kolig und Keith Sonnier hinsichtlich ihres Interesses nicht nur an rein abstrakten Formenfindungen, sondern an jenen von realen avantgardistisch-utopischen Architekturkonzipierungen (Kolig) sowie fortschrittlichen Technologien und innovativen Werkstoffen aus dem Flugzeugbau (Sonnier). Abermals tut sich eine gesellschaftliche Komponente in dieser Schau auf.

Im Südtrakt des Museums sind dann noch Beispiele versammelt, die zwischen Ordnung und Raum bzw. Faltung sowie Materialität und Raum hantieren. Zu nennen sind Arbeiten, die die Wahrnehmung der Betrachter:innen durch optische Täuschung herausfordern, unter anderem in stereokopischen Bildern Ludwig Wildings, die den Blick des Betrachtenden durch die daraus resultierende Bewegung der Bildkomposition automatisch steuern oder Markus Wilflings Schattenobjekt Pendel. Letzteres ist ein Beispiel eines harmonischen Zusammenspiels von vier schwarzen Schattenlinien eines an ein Uhrwerk erinnernden Pendels, wobei der Schatten über die weiße Fläche gleitet und dem Pendel gleichermaßen entflieht, ähnlich der Ungreifbarkeit des Hier und Jetzt, das immer schon Vergangenheit ist, sobald man es ausspricht. Die Referenz zum Uhrwerk bei gleichzeitigem Fehlen des Ziffernblattes, ist ein Vergehen der Zeit ohne Bewusstsein, ohne Vermessung und vermittelt den Betrachter:innen die Paradoxie des Zeitgefühls.

Insgesamt führt die Ausstellung gekonnt die Differenz und Kongruenz zwischen internationalen (Sammlung Weishaupt) und heimischen (Sammlung Liaunig) Positionen vor. Die Schau zeigt aber auch, wie zeitaktuell geometrisch-konstruktive Kunst sein kann. Viele der immersiven Werke zielen nicht nur auf Partizipation, sie eröffnen auch gesellschaftspolitische Fragen nach der Ordnung der Gesellschaft, der Fortschrittstechnologie, der Zeitwahrnehmung usw. So kommt man zu Conclusio, dass die gegenstandslose Kunst gar nicht mal so gegenstandslos ist, wie man meinen möchte.

Mehr Texte von Florian Gucher

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Blind Date
28.04 - 31.10.2024

Museum Liaunig
9155 Neuhaus/Suha, Neuhaus 41
Tel: +43 (0)4356 211 15
Email: office@museumliaunig.at
http://www.museumliaunig.at/
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h


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