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Hermann Nitsch 1938 - 2022

"es gibt keinen anfang und kein ende. ewigkeit und unendlichkeit sind endlos, grenzenlos. der eintritt in die zeit setzt einen anfang. die zeit ist zerteilte ewigkeit...“, lieferte Hermann Nitsch 1998 Grundsätzliches zu seinem damals zum ersten mal veranstalteten Sechstagespiel. Denkt man an Nitsch, einem der Gründungsväter des Wiener Aktionismus, mögen sich einzelne Bilder eingeprägt haben. Leinwände oder sakrale Gewänder im Altarschema inszeniert, Fotos von geöffneten Tierkörpern und Akteuren mit verbundenen Augen, an Kreuzen fixiert, Tierblut und die dazugehörigen Eingeweide waren auch meist wahrzunehmen. Dokumente eines rituellen Gemetzels könnte man meinen. Die Empörung hallt heute noch nach.

Doch waren da neben den Bildern und Fotosequenzen, die das Orgien Mysterien Theater dokumentarisch festhielten ebenso die Partituren, Schriften, Zeichnungen und Skizzen, die alles für alle Sinne haarklein vorab festlegten. Auferstehung, so lässt sich diesbezüglich beim Meister nachlesen riecht nach „wasserflieder akazien maiglöckchen lavendel“, auch verfügt das o.m.theater über eine eigene Farbenlehre. Auch später, als es an Inszenierungen an Theaterbühnen -zuletzt in Bayreuth 2021- ging, war wenig dem Zufall überlassen. Vielleicht musste man auch diese vorbereitenden Konvolute erst sehen, um zu begreifen, dass das bisweilen als verstörend wahrgenommene Teil eines eines grandios inszenierten Gesamtkunstwerkes waren, auch jenseits von anberaumten Veranstaltungen im Refugium des Künstlers in Schloss Prinzendorf. Überhaupt verbanden sich in dieser Existenz Kunst und Leben, ganz selbstverständlich und ursprünglich miteinander.

Legendär diesbezüglich ein Abschnitt aus einem Gespräch mit Hein Norbert Jocks aus dem Jahre 2002: „Ein gediegener Schweinsbraten, wie ich ihn mag, ist durchzogen, hat auch Fett und eine Kruste und liegt in goldigem Saft, in dem Fettaugen schwimmen. Es soll nur ja nicht ölig, sondern wunderbarer Fleischsaft sein, der sich herausgebraten hat. Dazu Knödel. Für mich wirklich eine klassische Speise, die ich gerne mit einem Rembrandt oder Tizian vergleiche. Die Farbigkeit nimmt eine starke Dichte an. Diese Gemälde sind großartig gemalt und repräsentieren sich wie ein knuspriger Schweinsbraten.“ Können sich Kunst und Kulinarik, alpenländische Küche und klassische Kunst besser verbinden? Nitsch war diesbezüglich nicht alleine, da gab es von Anfang an noch die Künstlerfreunde. Man war in der Nachkriegszeit gemeinsam hungrig gewesen, dann war man irgendwann nicht mehr hungrig, die Freude des Gemeinsamen und des Miteinander ist vielfach geblieben.

Und dann hatten sie sich alle nochmals auf der Bühne versammelt um gemeinsam nach dem 45 Jahre altem Erfolgsrezept am 16. Juni 2019 im 21er Haus „Selten gehörte Musik“ zur Aufführung zu bringen. Ein Künstlerleben lang war man befreundet, hatte miteinander in verschiedensten Konstellationen gegessen, getrunken, Gemeinschaftsarbeiten geschaffen, miteinander ausgestellt, sich gegenseitig unterstützt und bisweilen auch verteidigt: der Attersee, der Rühm, der Lüpertz, das Ehepaar Ingrid und Oswald Wiener und eben an der Orgel, flankiert von zwei Assistenten, der Nitsch. Sie waren diesbezüglich beispielhaft, denn eigentlich lässt sich die Reihe noch fortsetzen. Was soll man sagen, das Publikum tobte am Ende, wenngleich sich eine gewisse Wehmut nicht überspielen ließ, dass derlei Treffen nicht mehr allzuoft stattfinden würden. Nachdem man letzten November von Oswald Wiener Abschied nehmen musste, ist nun Hermann Nitsch am Morgen des Oster-Montags gestorben.

Irgendwie hat es etwas Beruhigendes, dass unlängst verlautbart wurde, es würden die pandemiebedingt verschobenen, ersten beiden Tage von Hermann Nitschs Sechstagespieles am 30. und 31. Juli diesen Jahres nachgeholt werden. Natürlich, was denn sonst, schließlich gibt es „keinen anfang und kein ende.“

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Abbildung: 1. Aktion | 1962 ©Atelier Hermann Nitsch

Mehr Texte von Daniela Gregori

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