Die Grosse Kunstausstellung NRW: Breit angelegtes Kunstmarktkorrektiv
Das Bären auch friedlich sein können, beweist eine skulpturale Installation von Anna Mrzyglod (*1979 Wadowice) im Außengelände der Ehrenhof-Anlage. The Bear (2021, 11.200 €) ist eines der populären Werke der Großen Kunstausstellung NRW in Düsseldorf mit 185 beteiligten Künstler:innen, ausgewählt aus über 900 Bewerbungen. Sie liefert seit 120 Jahren – mit Unterbrechungen – einen veritablen Querschnitt durch die regionale Kunstszene, ausgerichtet von Künstlerinnen und Künstlern für Künstler:innen, formal und inhaltlich entsprechend breit angelegt. Also zwangläufig ein Hort der Harmlosigkeit?
In diesem Jahr ist die Präsentation ausgesprochen gut gelungen, mit Blick auf die Einzelwerke und ihre thematische Gruppierung, die Ordnung schafft, ohne banal zu werden. Schlicht erscheint allein der Fokus auf Kunst, mit 103 Künstlerinnen und 82 Herren, bei binär angelegter Zählung, recht ausgewogen. Für das Folgejahr ist die Teilnahme übrigens ausgeschlossen, das schafft Abwechslung.
Auch die Herkunft der Beteiligten deutet die Offenheit dieser Veranstaltung an. Amit Goffer, mit seinen beiden handwerklich gefertigten Spiegeln (2021, 3.600 €), die Verzerrungen unserer Identitätsvorstellungen visuell adressieren, wurde 1979 in Tel Aviv geboren. Anna-Maria Bogner, die sorgfältig und souverän gegenwärtige Möglichkeiten der geometrischen Abstraktion auslotet (2021, 9.700 €), erblickte 1984 in Schwaz in Tirol das Licht der Welt. Das Alter reicht von der 24-jährigen Mariangela Pfahler bis zum 90-jährigen Walter Vogel (*1932 Düsseldorf), hier u. a. vertreten mit amüsanten Portraits von Pina Bausch, aufgenommen in den 60er Jahren (1967/2022, 5.800 €). Schließlich reichen die Preise von knapp 300 bis 66.000 Euro, denn die Möglichkeit des unmittelbaren und preiswerten Erwerbs von Kunst gehört zu den Reizen der Grossen. Tatsächlich steht die Vielzahl der im Rheinland ansässigen guten Künstler:innen in keinem Verhältnis zur überschaubaren Zahl der Galerien, die nur für den kleineren Teil eine Schnittstelle zum Markt bieten können. Schließlich bringen die hiesigen Hochschulen zwischen Münster und Essen, Köln und Düsseldorf stetig neue Talente hervor.
Hier finden sich dann also die komplexen und fragilen Rhizome (2021, 7.000 €) von Verena Freyschmidt (*1975 Frankfurt/Main), die bei Helmut Federle studierte, dynamisch-intensive Farbwirbel der Serie Oscillare (6.650 €) bei Melanie Richter (*1964 Göppingen), einst in der Klasse von Dieter Krieg oder die neuesten Experimente des Übergangs von Malerei zur Skulptur bei Carolin Israel (*1990 Chemnitz) mit fast and fash (2021, 6.300 €). Dejan Saric (*1966 Smederevska Palanka) ehemals bei Magdalena Jetelová an der Düsseldorfer Akademie, gibt mit einer großen Acrylmalerei aus Ovalen eine Ahnung seiner skulpturalen Seh-Maschinen (2021, 9.000 €), während Andrea Lehmann (*1975 Düsseldorf) und Simone Lucas (*1973 Neuss) an ihren rätselhaften Bildwelten fortspinnen (15.900 € und 12.000 €). Vielleicht ist das Verborgene und Mysteriöse sogar doch so etwas wie ein roter Faden, der sich durch die Ausstellung zieht. Dafür steht auch die beeindruckende Colony (2021, 12.000 €) von Jáchym Fleig (*1970 Villingen-Schwenningen), die rätselhaften Urban Memories (2021, 15.000 €) einer scheinbar abstrakten lichtbildnerischen Wandinstallation von Astrid Busch (*1968 Krefeld) oder die fotografischen Buchstabenlandschaften (4.200 €) von Hannes Norberg (*1969 Worms). Diesen Entdeckungsreisen ins Unbekannte folgen ebenso und anders Natascha Borowsky (1964 Düsseldorf), die in dyade klassische Skulptur und Pflanzenwuchs (4.200 €) parallelisiert oder der an einen Totenkopf gemahnende City Ghost des Medienkünstler-Duos Bewernitz/Goldowski (2020, 3.600 €), ein Phantom des Unbehagens.
Die Grosse ermöglicht es, über Jahre hinweg das Œuvre von Künstlern zu verfolgen, die etwas im Schatten modischer Trends stehen oder denen gewisse, außerkünstlerische Sekundäreigenschaften fehlen und ist immerhin ein kleines Korrektiv zum Kunstmarkt und den damit oft verflochtenen Institutionen. Die Grosse beinhaltet viele Ausstellungen in einer für viele, Hypermoralist:innen und Ideolog:innen werden allerdings enttäuscht nach Hause gehen.
11.06 - 17.07.2022
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