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Drift - Moments of Connection: Fantasien für eine alternative Kulturgeschichte

Viele technische Lösungen die in der Geschichte der Menschheit entwickelt wurden, basieren auf der Beobachtung und Nachahmung von Vorgängen und Konstruktionen, die die Natur in den Jahrmillionen der Evolution hervorgebracht hat. Während die Evolution aber auf die bestmögliche Adaption von Tieren und Pflanzen an ihre Umwelt abzielt, waren wir beim Kopieren so erfolgreich, dass wir die Umwelt nach unseren Vorstellungen gestalten können – und uns und der Welt dadurch ein ganzes Bündel an Problemen beschert haben.

Lösungen für unsere aktuelle Situation sind nicht ausschließlich mit technologischen Mitteln zu finden, es braucht dazu ein gehöriges Maß an Mitarbeit der Einzelnen, an Verhaltensänderungen und vielleicht auch Verzicht. Das wiederum ist nur mit Sensibilisierung sowie Überzeugungsarbeit zu erreichen, die in letzter Zeit vermehrt auch von kritischen Künstler:innen in einer wachsenden Zahl von Ausstellungen geleistet wird.

Das von Lonneke Gordijn und Ralph Nauta im Jahr 2007 gegründete Studio Drift setzt sich mit der Natur und der unglaublichen Perfektion ihrer Hervorbringungen auseinander. Mit großer Neugier analysieren die beiden an der Design Academy Eindhoven ausgebildeten Künstler dabei etwa die Bewegungsmuster von Vogelschwärmen. Wie verhält sich ein Individuum dabei in der Gruppe, welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus und welche Lehren könne wir für die Gesellschaft daraus ziehen? Die Versuche, dafür eine technische Lösung und erfahrbare Umsetzung zu finden dauerten mehrere Jahre und mündeten schließlich in ein nächtliches Ballett von ferngesteuerten, lichtbestückten Drohnen, uraufgeführt im Rahmen der Art Basel Miami Beach 2017. Dabei geht es Studio Drift nicht einfach um das kollektive Moment der Betrachtung, sondern die Erkenntnis, dass es ein lohnendes Ziel ist, die Natur trotz des technologischen Fortschritts zu bewahren.

Emotionsgeladen auch die Installation Fragile Future, die Teil der aktuellen Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg (MK&G) ist. Die Samenstände des Löwenzahns – vulgo Pusteblume – werden dabei von kleinen LEDs quasi von innen heraus zum Leuchten gebracht. Hunderte der fragilen pelzigen Kugeln tauchen den Ausstellungsraum in ein gedämpftes Licht und wecken kindliche Erinnerungen an heiße Sommertage und Erstaunen über die technische (eigentlich recht einfache) Umsetzung.

Ihre raumgreifenden Inszenierungen haben Gordijn und Nauta schon in vielen großen Museen weltweit gezeigt, so auch die Shylights, mit denen die Besucher:innen auf die Ausstellung eingestimmt werden. In den beiden halbkreisförmigen Stiegenaufgängen des MK&G hängen zwei bzw. drei zarte Konstruktionen aus Seidenstoffen von der Decke. Werden sie nach unten gefahren, falten sie sich durch den Luftzug zu leichtenden Blüten auf, werden sie zurückgezogen, schließen sie sich wieder. Musik von Philipp Glass unterstreicht die „schüchternen“ Bewegungen der Blütenpracht, schwingt aber auch durch die anderen Ausstellungsräume des Museums und überträgt dabei ein Gefühl der Leichtigkeit, das auch den dritten Ausstellungsraum beherrscht.

In 20 Steps erzählt vom ewigen Menschheitstraum des Fliegens, den wir bislang nur mit eher plumpen, meist lauten und Unmengen an CO2 ausstoßenden Metallkonstrukten verwirklichen konnten. Nicht dass die Konstruktion aus Glasröhren, Seilen und Motoren von Studio Drift sich selbstständig in die Lüfte erheben könnte, aber sie vereinnahmt durch ihren ruhigen Bewegungsablauf.

Der unbedingte Glaube und die ungebrochene Faszination der Möglichkeiten der Technologie – vor kurzem erst haben Studio Drift in Kooperation mit der Pace Gallery ihr erstes NFT, das Block Universe geminted – mag angesichts der zunehmenden Katastrophenfälle naiv erscheinen, doch die Schockstarre angesichts des Abgrunds der sich vor der menschlichen Existenz auftut, gebiert ebensowenig kreative Auswege. Mit ihren Arbeiten schaffen es Studio Drift jedenfalls, uns mit einen technologischen Animismus wieder Achtsamkeit gegenüber der Natur und unserem Planeten zu vermitteln.

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Anlässlich des 5-jährigen Jubiläums der Elbphilharmonie wurde Studio Drift mit der Entwicklung einer Außenskulptur für die Elbphilharmonie beauftragt. Die für 11. Jänner geplante Erstpräsentation wurde pandemiebedingt auf April 2022 verschoben.

Mehr Texte von Alexandra Remm

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Drift - Moments of Connection
07.01 - 08.05.2022

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
20099 Hamburg, Steintorplatz
Tel: +49 0 40 428 134 - 27 32, Fax: +49 0 40 428 134 - 28 34
Email: service@mkg-hamburg.de
http://www.mkg-hamburg.de
Öffnungszeiten: Di - So 10.00 - 18.00, Do 10.00 - 21.00


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