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Gelitin: Saft und Kraft im Herrgottswinkel

Mit Zügellosigkeiten war zu rechnen, als Kurator Florian Waldvogel die Wiener Künstlergruppe Gelitin eingeladen hat, sich mit den Sammlungen und Häusern der Tiroler Landesmuseen zu beschäftigen. Und die diesbezüglichen Erwartungen wurden mit in Künstlerpopos gesteckten Kerzen und Stuhlbeinen auch sattsam erfüllt. Seit dem Performance-Reigen zur Eröffnung Ende Juni ist in die von den Künstlern als „Ursprungsort aller künstlerischen Praxis“ eingerichtete Tonwerkstatt zwar wieder Ruhe eingekehrt, aber das wohltemperierte Chaos ist geblieben.

Das Innsbrucker Ferdinandeum blickt seinem 200. Geburtstag entgegen. Aus diesem Anlass wird das Haus demnächst für 36 Millionen Euro umgebaut, kürzlich wurde ein Projekt von Marte.Marte-Architekten zum Wettbewerbssieger gekürt. Dass es momentan so wirkt, als sei die Großbaustelle schon eröffnet, hat mit durchgebrochenen Wänden und monumentalen Gerüsten zu tun. Doch diese räumlichen Interventionen dienen ganz anderen Zwecken, nämlich der „Wiederkehr des Verdrängten“, wie es im Gelitin’schen Beipackzettel zur Ausstellung heißt.

Dafür steht im Ferdinandeum unter anderem auch ein überdimensionales Sofa mit Orientteppich-Überwurf, das mit Franz West genauso wie mit Sigmund Freud flirtet. Penetration ist bei Gelitin außerdem keine Einbahnstraße, also ist man mit einem überdimensionalen Strommast ins Haus eingedrungen, er bohrt sich bis in die zweite Etage hinauf. Das Material für die Konstruktion gaben die ausrangierten Stellwände der vorhergehenden Ausstellung her, deren Überreste auch anderweitig verarbeitet wurden. „Der Anus ist omnipräsent: Musik, Humor und seine Rolle für den Tourismus“, steht in einem der Wandtexte zu lesen. Ein Schelm, wer da gleich an Arschkriecherei im Dienste steigender Nächtigungszahlen denkt, anstelle des A-Wortes stand ursprünglich vielmehr der Name des Tiroler National-Malers Franz von Defregger zu lesen.

Kaum ein Sammlungsbereich des Mehrspartenmuseums blieb von Ali Janka, Wolfgang Gantner, Tobias Urban und Florian Reither unerforscht, dabei sind auch einige Filmarbeiten entstanden: In einer historischen Stube des Volkskunstmuseums inszenieren sich die Künstler als menschliche Kerzenhalter, die Tierpräparate der naturwissenschaftlichen Sammlungen mussten für eine Dildo-Orgie herhalten, durchs Schlachtenpanorama des Riesenrundgemäldes auf dem Bergisel kriecht ein kunterbunter Menschenwurm.

All das ist spaßig, unverschämt, zwischen Lust und Ekel, Scham und Schabernack angesiedelt. Aber auch mit allerlei hintersinnigen Anspielungen auf das gespickt, was im landeskulturellen Gedächtnisspeicher eher unterbelichtet bleibt. Bereits erwähnten Strommast, von Gelitin als „Saft Mast“ tituliert, darf man etwa auch als Hinweis auf die Terror-Anschläge der so genannten Südtiroler „Bumser“ lesen, die in der „Feuernacht“ vor nunmehr 60 Jahren 37 Strommasten in die Luft sprengten.

Herrlich hemmunglos wiederum Candela Capitàns und Maria Metsalus („Young Boy Dancing Group“) Tanz durch die Innsbrucker Hofkirche, die berühmt für ihre „Schwarzen Mander“ ist. Es befanden sich freilich seit jeher auch Frauen unter ihnen.

Mehr Texte von Ivona Jelčić

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Gelitin
24.06 - 26.10.2021

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
6020 Innsbruck, Museumstrasse 15
Tel: +43 512 59 489, Fax: +43 512 59 489-88
Email: pr@tiroler-landesmuseum.at
https://www.tiroler-landesmuseen.at
Öffnungszeiten: Di - Sa 10 - 12 & 14 - 17, So 10 - 13h


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