Andrea Winklbauer,
Once upon a time...
Schon einmal hat Martin Scorsese einen Film über das New York des 19. Jahrhunderts gemacht: "The Age of Innocence", 1993 nach einem Roman von Edith Wharton entstanden, spielte in der New Yorker Upper Class der 1870er Jahre. Mit "Gangs of New York" wendet er sich thematisch dem damals vernachlässigten Gegenpol zu: Scorsese beschreibt die Kämpfe der armen Einwanderer gegen die bereits ansässige Unterschicht von den 1840ern bis in die Zeit des Bürgerkrieges.
Im Gegensatz zum vergeistigten und formal sehr verfeinerten Kammerspiel von "The Age of Innocence" setzt Scorsese diesmal auf die Wirkung von actionreichen Massenszenen und aufwändigen Kulissen. Das blutrünstige Rachedrama kann es in punkto Brutalität und Realismus leicht mit Kriegsfilmen wie "Saving Private Ryan" aufnehmen, nur dass das Handwerkszeug um einiges archaischer ist: Gekämpft (und getötet) wird durchgehend mit Fleischermessern, Hackbeilen und Keulen.
Es gibt zwei gute Gründe sich diesen Film auf alle Fälle anzuschauen. Der erste ist Daniel Day-Lewis als Bill
The ButcherCutting, eine Art früher "Pate", der sich als Good Bad Guy erweist. Der Schauspieler, seine Kostüme, die Maske und sein mehr als überzeugendes Spiel lassen eine Figur entstehen, die eigentlich eine eigene Analyse wert wäre. Im Gegensatz zu dem langweiligen Leonardo di Caprio ist Day-Lewis"Butcher" die Figur, die sich einprägt. Der zweite gute Grund ist die Art, wie Scorsese die Vergangenheit zum Leben erweckt. Historienfilme haben es immer schwer, sich gegen die Trägheit der Bilder, die sie erst erschaffen müssen, weil man sie nicht mehr aus dem Leben greifen kann, durchzusetzen. In "The Age of Innocence" hielt Scorsese dieser Trägheit mit Erfolg den vermehrten Einsatz filmischer Mittel entgegen. In "Gangs of New York" ist die Darstellung vergangenen Lebens größtenteils konservativer, besticht aber durch ein manchmal an Videoclips erinnerndes Tempo und einen detailverliebten Verismus: Wie in den Historiengemälden am Ende des 19. Jahrhunderts kann sich das Auge in einem überzeugend durchkomponierten Rekonstruktionsversuch förmlich verlieren. Die Handlung ist dabei gottlob nebensächlich. Gangs of New York, USA 2002, 166 min. Regie: Martin Scorsese Filmstart: 21. Februar 2003 www.gangsofnewyork.com
Mehr Texte von Andrea Winklbauer