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Wagner - Nürnberg - Meistersinger. Richard Wagner und das reale Nürnberg seiner Zeit: Mythenschreiber und Meistersinger

Richard Strauß glaubte, er "habe von Wagner gelernt, was es überhaupt nur zu lernen gibt." Positivster Wertung vollendet er seine Sentenz, der Komponist der "Meistersinger" und des "Rings" müsse "jedem modernen Musiker Beispiele und Vorbilder zugleich geben". Das konnte ein Musiker und Komponist schreiben. Theodor W. Adorno besah das Werk aus einem ganz anderen Blickwinkel. Inhumanität sei der Ausdruck seiner Musik, und er war der Auffassung, man könne nicht zwischen dem Komponisten und seinem Werk trennen. Und das solle Folgen gehabt haben: "Bei Wagner träumt das Bürgertum den eigenen Untergang als einzige Rettung, ohne doch von Rettung mehr zu gewahren als bloß den Untergang." Egal wohin man schaut: Der Mega-Jubilar des Jahres 2013 splittet und spaltete schon immer. Ist überhaupt etwas zwischen Hass und Verehrung möglich? Was bietet diese 200. Wiederkehr der Geburt des Erfinders der Leitmotivik und Verfechters des Gesamtkunstwerks? Wie positionieren sich abseits des Musikbetriebs Kulturinstitute zum "scheinbar Siegreichsten", wie ihn Friedrich Nietzsche titulierte. "Wagner e Fortuny. Il wagnerismo nelle arti visive in Italia" ist bis 8. April in Venedig im Museo Fortuny zu sehen. Der gebürtige Leipziger starb 1883 in der Lagunenstadt. Grund genug, sich dort dem Thema zu widmen und seinen Einflüssen nachzuspüren. Mit über 150 Werken möchte man die Einflüsse auf die bildende Kunst bis Bill Viola oder Anselm Kiefer nachweisen. Im Kunsthaus Zürich dräuen gar "Walküren über Zürich". Wagner lebte nach seiner Beteiligung am Dresdner Mai-Aufstand neun künstlerisch entscheidende Jahre im Zürcher Exil. Und arbeitete selbstredend auch dort, was lange Aufführungsreihen nach sich zog. Szenenfotos, Bühnenbildentwürfe arbeiten diese Geschichte auf (24.5. bis 18.8.). Im Dresdner Stadtmuseum will man dem Mythos Wagners in Elbflorenz auf die Schliche kommen (27.4. bis 25.8.). In Leipzig, Museum der bildenden Künste, beschaut man vom 16.5. bis 15.9. die den Komponisten in Relation zu seinen sächsischen Zeitgenossen Max Klinger und Karl May. Auch in Wien ("Richard Wagner und das jüdische Wien", vom 24.9. an, Jüdisches Museum), wo Wagner schon früh verehrt, aber vom jüdischen Feuilletonisten Daniel Spitzer hart in die Kritik genommen wurde, betrachten Kuratoren das Lokale. Es scheint, der große Blick entstünde erst aus dem ortsspezifischen Wirken. Oder ist das nur ein großes Puzzle, das die Reiselust wecken soll? Nürnberg, Schauplatz der "Meistersinger", startet jetzt den Reigen auf raffinierte Weise. Das Germanische Nationalmuseum (GNM) lässt nämlich die Kult-Abteilung außen vor und widmet sich historisch-faktisch dem eigenen Ort in Wagners Jahrhundert während seiner zehn Besuche. "Nach vielem inständigen Bitten von Seiten des Wirthes", notierte Richard Wagner anlässlich eines nächtlichen Nürnberg-Besuchs im Jahre 1862, "kam Margarethe, im Negligé, endlich heraus und brachte uns, nach mancher geheimen Überlegung mit dem Wirthe, in die für uns ausgemachten Kammern." Wagner schrieb dies in "Mein Leben", seine zweibändige Autobiografie, die 1911 erschien. Und diese Zeilen sprechen beredt von dem Bild, das er sich von der Stadt gemalt haben muss. Das GNM schlägt diese Seite in seiner Ausstellung "Wagner – Nürnberg – Meistersinger. Richard Wagner und das reale Nürnberg seiner Zeit" auf. Und bereits das kleine, unscheinbare Adjektiv "real" im Untertitel verrät das Ziel der Forschungen im Rahmen des Projekts. Der Gesamtkunstwerker schien es nämlich einerseits nicht ganz so genau mit der Wahrheit zu nehmen, andererseits kreierte er seine eigene Sicht der Dinge, so dass er sie geschickt fürs Selbst-Marketing und biografische Pointen einsetzen konnte. Im Zentrum der Ausstellung mit 86 Exponaten liegt in einer Vitrine die Reinschrift der Partitur von Wagners "Meistersinger" von 1866/67. Sie wird auf- und alle zwei Wochen umgeblättert. Es ist bei weitem das kostbarste Exponat und gemäß Direktor Ulrich Großmann "eine der wertvollsten Handschriften im Besitz des Museums". Nach zehn Jahren im Dunkel des Safes kommt das Autograf wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Um die Noten und weniger den Meistersinger-Stoff herum ist ein Kunststück entstanden, das den Pomp des Meisters und seinen Kult dankenswerter Weise außer Acht lässt und das Rationale rekonstruiert, um zu zeigen, wie biegsam die Wirklichkeit in den Augen eines Großkünstlers sein kann. Das beginnt bereits bei der besagten Reise. Wagner beschreibt einen aufgezwungenen Stopp auf der Strecke nach München. Stimmt gar nicht, sagen die Fahrpläne, die einen Halt in der Frankenstadt gar nicht vorgesehen hatten. Und so steht es um viele Geschichten. Von Wagner selbst hört man nur etwas vom niedlichen, mittelalterlichen Idyll, dabei hat er die großen Einfallstraßen und Zeichen seiner sich technisierenden Gegenwart natürlich ebenfalls wahrgenommen. Aber das passte ja so gar nicht ins Bild seines Fantasie-Deutschlands. Die Ausstellung spürt den Fragen nach, was er in Nürnberg erlebte, sah und was er für berichtenswert hielt. Was hat er unterschlagen? Was verschwieg er? Der Besucher kann sich anhand zeitgenössischer Bildquellen davon überzeugen, auf welche Weise Wagner einem romantisierenden Bild folgte. Und er vermag ein wenig auch die Mythen um die Genese des Werks nachvollziehen. Denn die Wahrnehmung etwa eines Georg Christian Wilder (1797-1855) in seinen Veduten zeigt gleichfalls das Werden einer Großstadt mit breiten Straßen und großen Häusern; eben nicht nur das Hans-Sachs-Haus, das 1835 vom Einsturz bedroht, in einer Radierung von Wilder aufgestützt in einer Baustelle steht. Oder das idyllische Fachwerkhaus am Geysersberg, so wie es in der handkolorierten Radierung von Johann Benedikt Wunder nach J. C. Haug (1838) erscheint. Den ganzen Rummel um die Eisenbahn und die Spekulationsgewinnler muss er mitbekommen haben, doch weder investierte er noch schenkte er diesen tiefgreifenden Wandlungen in seiner Gesellschaft Aufmerksamkeit. Ein riesiges Gesangsspektakel, das "Zweite Deutsche Sängerfest", zu dem 1861 in einer eigens gebauten Holzhalle 5300 Sänger vor gut 14 000 Zuhörern in Nürnberg sangen, nannte der Royalist abschätzig "demokratisches Blendwerk". Das erste Mal kam er 1835 als unbekannter Magdeburger Kapellmeister auf Sängersuche in die Stadt. Danach, 1861, war er bereits ein europaweit gefeierter Star. Zum ersten Besuch traf er seine Schwester Clara und ihren Mann und besuchte das neugebaute Stadttheater. Der Weg in die werdende Industriemetropole erfolgte per Postkutsche. Deren Typ lässt sich in einer Grafik betrachten, ebenso wie das Bild eines Postillons und ein Fahrplan. Das Theater wiederum wird in drei Entwürfen gezeigt. Dort gastierte die von Wagner seit seinem 16. Lebensjahr höchst geschätzte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient (1804-1860). Er vermerkte den nachhaltigen Eindruck, den die wohl erste Wagner-Stimme überhaupt in ihm hinterließ – sie sang in den Uraufführungen vom "Fliegenden Holländer", "Tannhäuser" und "Rienzi". Und eine Schlägerei vor einem Wirtshaus mit angeblich über 100 Kombattanten quetschte Wagner geschickt in seine Biografie, so dass er das Ereignis als den Anlass für seine "Prügelfuge" am Ende des zweiten Akts der "Meistersinger" verkaufen konnte. Belegt ist 1861 gleichfalls der Besuch des Germanischen Nationalmuseums mit Blandine und Émile Ollivier. Ein Haus, kaum zehn Jahre alt, das Wagner als "armselig" kennzeichnete und sich anscheinend weder für kostbare historische Musikinstrumente wie Zinken oder Blockflöten noch andere Sammlungsstücke, sondern lediglich für zeitgenössische Repliken von Folterwerkzeugen interessierte. Im Übrigen soll er, so rekonstruierten die Wissenschaftler anhand ihrer Besucherbücher und Führungsschriften durch die Studioräume, in denen die Schau präsentiert wird, gewandelt sein. "Viele Aspekte können nur gemutmaßt werden", meint Frank P. Bär, Leiter der Sammlung Historische Instrumente, der die Schau zusammen mit Katharina Leiska kuratiert hat. Den biografischen Notizen könne man jedenfalls nur bedingt trauen. Spannend sind jedoch gerade die den Exponaten abzugewinnenden Dekonstruktionen des selbstgestrickten Mythos, der bisweilen bis heute wirkt. Die Entstehung der "Prügelfuge" etwa wird im Wikipedia-Artikel immer noch auf Wagners Weise kolportiert. Ein kleiner Kunstgriff ist es gleichermaßen, die Musik nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Keine Hörstation lenkt von den Bildern und Objekten und damit vom Denken ab. Auch in Sachen Rezeption schöpft das Nationalmuseum aus seinem weit gefächerten Fundus. Etwa mit einer für Kinder gedachten Spielzeugbühne, die 1880 Anweisungen und Personal zum Selbstbasteln aus Papier gab. Die mitgelieferte Story sei eine politisch bereinigte "Light-Version", meint Kurator Bär. Das Germanische Nationalmuseum "feiert" mit solchen Stücken den 200. Geburtstag von Richard Wagner auf eine angenehm kritische Art und Weise. Anstelle großer Gesten hat sie ein Kabinettstück realisiert, das Fragen aufwirft und zum Nachforschen einlädt. Sie dezentriert gleichfalls den Fetisch der Reinschrift, die 1902 in einer Schenkung zum 50. Geburtstag des Hauses von Prinzregent Luitpold von Bayern ans Museum kam. Man darf gespannt sein, wie sich die anderen Häuser diesem wohl umstrittensten Komponisten der Musikgeschichte annähern.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Wagner - Nürnberg - Meistersinger. Richard Wagner und das reale Nürnberg seiner Zeit
21.02 - 02.06.2013

Germanisches Nationalmuseum
90402 Nürnberg, Kartäusergasse 1
Tel: +49 (0)911 1331-0, Fax: +49 (0)911 1331-200
Email: info@gnm.de
http://www.gnm.de
Öffnungszeiten: Di, Do – So 10.00 – 18.00, Mi 10.00 – 21.00 h


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