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Boris Mikhailov: TV-Mania: Der alltägliche, medial aufbereitete Wahnsinn

Boris Mikhailov sitzt breitbeinig auf einem Stuhl direkt vor dem Fernseher, die Fernbedienung in der Hand, während er mit weitaufgerissenen Augen die Blondine auf dem Bildschirm förmlich verschlingt. Der Fotokünstler wirkt auf dieser Aufnahme wie ein weiterer Sozialfall aus seiner Fotoserie \"Case History (Krankengeschichte)\" von 1997-98, die dem 64-jährigen Ukrainer weltweiten Ruhm und den \"Hasselblad Award 2000\" eingebracht hat. In schonungslosen Bildern hat er damals den so genannten \"Bomzhes\", den Obdachlosen, im allerletzten Dreck ein menschliches Gesicht gegeben. Mikhailovs deutlich erkennbarer Bauchansatz wölbt sich über die ausgeleierte Unterhose, aus der sein bestes Stück hervorquillt ? nachträglich überpinselt, wie zensiert. Vielleicht ein ironischer Hinweis darauf, dass er einst aufgrund von Aktfotos seiner Frau, die der KGB bei ihm aufstöberte, seinen Job als Ingenieur verloren hat. In der Galerie der Stadt Schwaz zeigt er nun seine neueste Fotoserie \"TV-Mania\". Das Selbstporträt stellt zugleich das dazugehörige Arbeitsprogramm dar. Stundenlang sitzt Mikhailov mit der Kamera vor der Flimmerkiste und zappt sich durch die bunte Fernsehwelt, um im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Ganze Wände hat er mit scheinbaren Zufallstreffern tapeziert, die es bei näherer Betrachtung in sich haben. Bild an Bild fügt sich zusammen zu einem raumfüllenden Manifest des alltäglichen, medial aufbereiteten Wahnsinns, teilweise vom Künstler mit skurrilen Bildunterschriften versehen. Vom \"Intimbereich eines Igels\", der \"Frau ohne Unterleib\", bis zu \"Putin beim Judo\". Und dazwischen Amerikas \"War against Terror\". Flüchtige Augenblicke, mit schräger Optik festgehalten, werden plötzlich zu Kunstbildern. Je nach Grobkörnigkeit der Bildstruktur stehen sie bisweilen auch für Stilrichtungen der Kunstgeschichte. \"Pointillismus\" steht in Klammern neben der Bildunterschrift \"Muslime\", weitere Fotos zeigen \"Juden (Expressionismus)\" und \"Amerikaner (Abstrakt)\", die zu zeitlosen Geometrien erstarrt sind. Mihkailov schafft es, einem die fernsehmüden Augen zu öffnen.
Mehr Texte von Julia Wallnöfer

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Boris Mikhailov: TV-Mania
15.06 - 27.07.2002

Kunstraum Schwaz
6130 Schwaz, Palais Enzenberg, Franz-Josef-Straße 27
Tel: 0043 52 42 73 98 3, Fax: 0043 52 42 66 89 6
Email: office@kunstraum-schwaz.at
http://www.kunstraum-schwaz.at
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18, Sa 10-15 h


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