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The Baltic Times: Modrig süß und verlockend

Der eierschalengelbe Linoleum-Fußbodenbelag, glatt und klebrig zugleich, bekannt aus so vielen Schwimmbädern und Umkleidekabinen, eine Erinnerung an desinfizierte Sauberkeit aus jedermanns Kindheit, zieht sich über den ganzen Raum. Ein kleines Horrorkabinett mit beißendem Gestank hat Ene-Liis Semper in den Galerieraum gestellt und mit ihrer Zunge Zentimeter für Zentimeter saubergeleckt. Drei Monitore spulen die Bilder der vergangenen Performance ab, zeigen dem Ausstellungsbesucher, dass der scheinbar so blankgeputzte Raum in Wirklichkeit flächendeckend mit Spuren menschlicher DNA überzogen ist. Ein einziger Tropfen Speichel enthält das gesamte Genom der Künstlerin, genauso unverwechselbar wie mittlerweile von der Wissenschaft reproduzierbar. Einen Stock höher locken dicht an dicht gereihte Christusfiguren aus Schokolade. Da hängt der Heiland einmal senkrecht, dann wieder kopfüber am Kreuz, zum puren Objekt verkommen, zum Souvenir und Ramschartikel, leicht verdaulich, wenngleich schon etwas ranzig mit modrig süßem Geruch. Eglé Rakauskaité legt das materialistische Gottesbild der Institution Kirche bloß, zeigt, dass \"Gott keinen Körper hat und nicht ein Mann ist, genauso wenig wie Schokolade\". In der Ausstellung, die vom Museum für Zeitgenössische Kunst Zagreb nach Innsbruck gekommen ist und insgesamt 14 Positionen neuer Kunst aus Estland, Lettland und Litauen präsentiert, sucht man vergeblich nach sogenannter \"typischer Ostkunst\", was auch immer das sein soll. Stattdessen wird man mit Gegenwartskunst von internationalem Niveau konfrontiert, die mit viel Ironie gesellschaftliche Strukturen wie Räume behandelt. Ganz im Sinne der Kuratoren Branka Stipancic und Tihomir Milovac wird deutlich, dass im ehemaligen \"Ostblock\" statt politischer Ideologien, längst urmenschliche Themen die Kunst bestimmen, die in Ost und West gleichermaßen verstanden werden. Wohl auch deshalb hat das Video \"Loser\" von Kai Kaljo bereits einen regelrechten Siegeszug um die Welt angetreten. \"I am 37 years of age but still living with my mother\", heißt es da, \"I am not married\". Im Hintergrund eine Geräuschkulisse aus schallendem Gelächter.
Mehr Texte von Julia Wallnöfer

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The Baltic Times
13.04 - 23.05.2002

Taxispalais Kunsthalle Tirol
6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Str. 45
Tel: +43 512 594 89 401
Email: info@taxispalais.at
http://www.taxispalais.art
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr


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