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Das Virile soll viral werden

Die Werbeindustrie ist stets auf der Suche nach Bildern, die sich der Vergessenheit entziehen. Auch die Politik strebt nach Wirkungsmacht durch ikonische Erinnerung. Ein Bildmotiv, das diese Absicht kaum verhehlen kann, ist das Portrait, das eine offizielle Fotografin des französischen Präsidenten kürzlich von ihrem Dienstherrn aufnahm. Emmanuel Macron ist in einem schwarzen T-Shirt beim Boxtraining zu sehen. Die Szene stammt aus der Dunkelkammer der Instinkte. Energisch, um nicht zu sagen wild geworden, geht der Präsident gegen den Sandsack vor. Das Bild repräsentiert eine “Männlichkeit in Überdosis”, schreibt eine politische Kommentatorin nicht unzutreffend. Das Virile soll viral werden. Einige in der Politikberatung wenden ein, Boxen sei durchaus vergleichbar mit dem Geschäft der Politik – es gehe um Durchsetzungskraft und Konfliktfähigkeit, jedoch innerhalb eines Regelwerks. Dies ist vermutlich auch die Meinung von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, der zu Beginn des April ein Paar Boxhandschuhe in den Elysee-Palast als Geschenk mitbringt. Die Übergabe in Paris findet unter freiem Himmel und mit freundlichen Gesten statt, die Handschuhe sind rot. Farbe gibt es jedoch in dem Boxer-Foto des Präsidenten auf Instagram keine. Der Protagonist, den wir eigentlich nur von Aufnahmen offizieller Staatsprotokolle kennen, agiert in Schwarz-Weiß und beängstigend. Macron zeigt sich mit fletschenden Zähnen, angespannten Bizeps und hochgezogenen Brauen. Wut und Erregung treiben ihn. Auffällig ist die Nahansicht und das Fehlen jeglicher Umgebungsdetails; nur eine in der Unschärfe des Fotos verwaschene Ziegelmauer gibt räumliche Hinweise. Ausschließlich der kraftstrotzende Mensch ist zu sehen, ein Sportsgeist in den Tiefenräumen des Unbewussten, an der Schwelle zu gerechtem Zorn und verwegener Angriffslust. Die präsidialen Tugenden wie Bedachtsamkeit, Klugheit und Maßhalten bleiben außen vor. Es scheint, als könnten die Konflikte der Gegenwart ein längst überwunden geglaubtes Männerbild wiederbeleben. Oder ist das markige Motiv als eine Botschaft an eine Jugend gemeint, deren Maskulinität zunehmend in Frage gestellt wird und daher entweder heimlich unterdrückt oder kriminell enthemmt auftritt?

In der Kunstgeschichte finden sich verschiedene Porträts von Boxern, wie zum Beispiel die Gemälde von George Bellows, der um 1900 die Kämpfe der sozial Benachteiligten in den dampfenden Clubs im Manhattan festhielt, oder der Weltheiler Joseph Beuys, der das Boxen als eine Art innerweltliche Exkulpation betrachtete. Diese Bilder sind mit Umständen und Eigenheiten gefüllt, zeigen soziale Zustände und die Versuche, ihnen zu entkommen.

Jeff Walls »Boxing« sticht aus dieser Reihe hervor. Es ist ein Bild, in dem die Szenerie das Sujet irritiert und nicht umgekehrt. Zwei Teenager boxen im Wohnzimmer, sie trainieren in einem stilvoll eingerichteten Apartment, ausgestattet mit Boxhandschuhen und glänzenden Shorts. Die boxenden Buben sind seitlich in das Bild gesetzt, fast wie in einem Diorama oder einem antiken Relief. Das Interieur in Weiß korrespondiert mit ihren blass beleuchteten Körpern. Dazu kommen edle Gestecke von Orchideen, ein Lampenschirm, zwei Sofas und eine Ziegelwand über der Feuerstelle, die ebenfalls Weiß getüncht ist.

Jeff Wall nutzt die Umgebung für vielsagende Details. Nicht nur die Orchideen und Gemälde – links ist ein Werk von Josef Albers zu sehen –, zeichnen den Haushalt als kultiviert und wohlhabend aus, sondern auch einige Vasen und Gegenstände in dem Regal im Hintergrund. Der antike Diskuswerfer, der dort in Kleinformat zu sehen ist, ist ein Vorfahre sportlichen Wettstreits, ein kunstgewordener Athlet. Hier erinnert er als immerwährendes Urbild an die ungebrochene Wirksamkeit des Wettkampfs und an seine Aktualisierung durch die halbstarken Kontrahenten. Auch die anderen Bilder eröffnen Beziehungen zur spielerisch-vehementen Aktion. Zielt die Linke des Angreifers wirklich auf die Wange seines Gegners oder ist sie nicht eher als eine Attacke auf das abstrakte Gemälde hinter ihm zu verstehen? Ist Malen seit der Moderne nicht auch Auslöschen, Anschwärzen und Bekämpfen?

In dem Regal befindet sich auch eine kleine Buddha-Figur. Sie repräsentiert das Gegenteil der barfüßig Boxenden. Buddha widersetzt sich bekanntlich der Aggression. Er versteht sich als dialektisches Gegenstück zur Streitlust von Avantgarde und Politik und deren Streben nach Verdrängung. Jeff Wall erinnert an sein Wollen des Nicht-Wollens, das Macron vermissen lässt, und noch an eine weitere Quelle der Konfliktbewältigung, nämlich die vorgeschichtliche Kunst. Wie vergleichbare Figurinen aus vorgeschichtlicher Zeit zeigt die Venus von Willendorf, die sich im obersten Fach des Regals befindet, kein Gesicht, aber dafür eine üppig strahlende Körperlichkeit. Sie streitet nicht. Ähnlich wie Buddha wacht auch sie über die kämpfenden Teenager, als matriarchale Mahnung und Totem weiblichen Ursprungs.

Doch zurück zu den Kämpfenden. Der zurückweichende der beiden Boxer – er ist rechts zu sehen – trägt Handschuhe mit der Inschrift "Rage". Die Wut, die Macron antreibt, ist hier in der Defensive. Wahrscheinlich ist dies das eigentliche Motiv des Präsidenten für sein ungewöhnliches Foto als ungebremster Fanatiker, nämlich die Angst, schon verdrängt zu sein – von Putin, von der Elite, die Apartments wie jene in der künstlerisches Fotografie von Jeff Wall bewohnt, von der chancenlosen Jugend in den Banlieus, die sich nicht zum Vergnügen schlägt und Teppichböden und Designermöbel nur aus den Auslagen kennt.

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ABB oben: ©️ Soazig de la Moissonnière / Présidence de la République

ABB: Jeff Wall: Boxing, Lightjet Print, 2011, derzeit: Jeff Wall: A Retrospective, Fondation Beyeler Basel, 28. 1.-21.4.2024

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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