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ARCO 2024: Von Madrid in die Karibik

Die zweite Märzwoche ist ein ungewohnter Termin für die Arco Madrid, der zudem mit dem Beginn der Tefaf Maastricht kollidiert. Doch das dürfte den Spaniern weniger zum Nachteil gereichen als den Niederländern, die ohnehin ein Nachwuchsproblem haben. Wer junge Avantgarde sehen, ausstellen, verkaufen oder kaufen möchte, dürfte Madrid den Vorzug geben.

Bei den Besucherzahlen wird Madrid ohnehin vorne liegen. Am Wochenende sind die beiden Hallen übervoll wie seit Vor-Corona-Zeiten nicht mehr. Der enorme und bis zu sechsstellige Publikumszuspruch liegt in der DNA der Arco begründet, die in der Zeit nach der Franco-Diktatur nicht zuletzt als massentaugliches Projekt bürgerlicher Emanzipation gestartet war.

Dieses Legat spiegelt sich in den zahlreichen Sonderformaten, mit denen die Messe immer wieder experimentiert. Eine fulminante Sonderschau ist den Kuratorinnen Carla Avecedo-Yates und Sara Hermann Morera mit "the shore, the tide, the current. an oceanic carribbean" gelungen, die in der kongenialen Architektur eines karibisch-stämmigen Architekten-Trios aus geschwungenen Wänden mit provisorischen Möbeln aus recyceltem Schaumstoff die karibische Kunstszene auffächert. Es fällt auf, dass fast alle Positionen sich in irgendeiner Form mit Lebensrealität beschäftigen und gleichzeitig eigenständige und bildstarke Formen finden, etwa Fabrizio Arrieta, Omar Velázquez oder die 84jährige Valerie Braithwaite, die es sich nicht nehmen lässt, bei der Karibik-Party in der Reina Sofia als DJane aufzutreten.

Das im letzten Jahr lancierte Format der kuratierten Sonderschau eignet sich offenbar dazu, hochkarätige Galerien nach Madrid zu locken. Kalfayan aus Athen hat sich nach der Teilnahme am Mittelmeer-Schwerpunkt jetzt darauf eingelassen, erstmals mit einem regulären Stand teilzunehmen. Arsen Kalfayan ist sehr angetan von dem Standort. Das Publikum sei viel internationaler als in Turin oder Köln, die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher konzentrierter als in Miami. Ob sich das unmittelbar auf der Messe in Umsätzen niederschlage, sei für ihn als Debütant eher zweitrangig.

Das ist leider auch Teil der Wahrheit: Vom Ticketverkauf haben die Aussteller wenig, und gekauft wird derzeit allerorten eher zögerlich. Das bestätigen hinter vorgehaltener Hand fast alle Galerien.

Da ist es hilfreich, wenn eine Messe inhaltlich für etwas steht, das sie von Wettbewerberinnen unterscheidet. Der gerühmte Lateinamerika-Fokus der Arco fügt sich trefflich in den Trend zum globalen Süden und zu politischen Themen.
Richard Saltoun, gefühlt der einzige Aussteller von der britischen Insel, hat seinen Stand entsprechend sortiert und präsentiert unter anderem die indigene brasilianische Künstlerin Daiara Tukano, deren starkfarbige Gemälde sich mit der Spiritualität und den Traditionen ihres Volkes beschäftigen. Die kleineren Aquarelle sind mit 9.000 US-Dollar netto allerdings eher für den amerikanischen Markt bepreist als für den kontinentaleuropäischen.

Man muss gar nicht allzu genau hinschauen, um an vielen Ständen, vor allem aus der spanischsprachigen Welt, gesellschaftlich engagierte Kunst zu finden. Guillermo de Osma aus Madrid überrascht mit dem absolut zeitgenössich wirkenden Gemälde "El Desfile" von Ángela García Codoñer, das Konzepte von Schönheit im Stil der Post Internet Art aufs Korn nimmt. Das Bild ist aus dem Jahr 1974 und kostet 45.000 Euro.

Ivan aus Bukarest und Voloshyn aus Kiew teilen sich zum ersten Mal einen Stand, dessen zwei Positionen zunächst bestenfalls über das Schwarzweiß zu korrespondieren scheinen, die eine abstrakt-ornamental, die andere mit Screenshots von Fernsehbildern aus den 1970ern. Tatsächlich beschäftigen sich sowohl der Rumäne Ion Grigorescu, als auch der Ukrainer Danylo Halkin mit nationaler Identität und staatlicher Gewalt.

Ebenfalls auffällig ist die im Vergleich zu früheren Jahren zwar zurückgegangene, aber im internationalen Vergleich immer noch große Bandbreite unterschiedlicher Sparten. Medienkunst ist noch immer an mehreren Ständen zu sehen, nicht nur in kuratierten Sektionen oder bei Anita Beckers aus Frankfurt. Bei Jochen Hempel aus Leipzig quält sich Finja Sander täglich zweimal durch ihre zweistündige Performance - nicht nur an den beiden VIP-Tagen, sondern über die gesamte Laufzeit der Messe. Solch ein Durchhaltevermögen wünscht man den Galerien, die diesseits des renditegetriebenen Blue Chip-Markts der Bildenden Kunst eine Plattform bieten und den Künstlern ihr Tun überhaupt erst ermöglichen.

Mehr Texte von Stefan Kobel

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ARCO 2024
06 - 10.03.2024

ARCO
28042 Madrid, Parque de Juan Carlos 1
http://www.arco.ifema.es


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