Werbung
,

Art Rotterdam: Adieu Weltkulturerbe!

Mit der aktuellen 25. Ausgabe verabschiedet sich die Art Rotterdam von der so geliebten wie verhassten Van Nelle Fabriek im Nordwesten Rotterdams. Die historische Tabakfabrik ist für die einen eine Augenweide, für die anderen ein zugiges Denkmal im Industriegebiet.

Ähnlichen Renovierungsbedarf wie das Gebäude (Denkmalschutz) hat die Veranstaltung (Konzept). Gründer, Miteigentümer und Direktor Fons Hof verspricht mit dem anstehenden Umzug einige Neuerungen, die die Messe auch für ausländische Galerien und Sammler attraktiver machen sollen.

"Die neue Location ist 40 Prozent größer und besser angebunden", so Hof. Das Ahoy ist eine moderne Mehrzweckhalle mit schicker Glasfassade, einer Shopping Mall in der Nähe, einem benachbarten Park und U-Bahn-Anschluss. „Und es gibt eine Heizung", fügt er hinzu. Wichtiger dürften allerdings die zusätzlichen 4.000 Quadratmeter sein. Die bieten Platz für drei kuratierte Sektionen mit Videos, Skulpturen und Installationen. Das bot die Messe alles schon einmal zu unterschiedlichen Zeiten, zukünftig gibt es alle drei dauerhaft gleichzeitig - und das gratis für die Galerien, verspricht Hof. Aussteller können sich mit ihren Präsentationen bewerben, ohne Extrakosten. Das solle den Wettbewerb um die besten Projekte befördern und die Qualität der Bewerbungen erhöhen.

Doch auch darüber hinaus soll Rotterdam wettbewerbsfähiger werden. Ein Mitglied des Komitees erklärt, dass der Umzug nur ein Element unter mehreren sei, um die Messe für ausländische Galerien wieder attraktiver zu machen. Das Gesamtpaket hinke anderen Boutiquemessen etwas hinterher. Er selbst habe im Ausland erlebt, dass Veranstalter besonderen Wert darauf legen, lokale Kuratoren und Sammler an die Stände der Gäste zu bringen. Das solle demnächst auch in Rotterdam mehr im Fokus liegen.

Tatsächlich lässt die ausländische Beteiligung zu wünschen übrig. Waren früher Galerien aus dem benachbarten Rheinland häufige Gäste, oder auch schon mal junge Kollegen aus Berlin oder München und sogar Österreich zu Gast, ist aus dem deutschsprachigen Raum fast nur noch ein Leipziger Block, bestehend aus den Galerien Reiter, Kleindienst und ASPN geblieben. Die nimmt seit neun Jahren teil und hat sich einen treuen Stamm an Museen und Sammlern erarbeitet.

Erstaunlich hartnäckig ist auch Copperfield aus London in seiner langjährigen Teilnahme. "Die Holländer waren immer gut zu uns", erklärt Galeriegründer William Lunn. So ganz von ungefähr kommt der Zuspruch jedoch nicht. Lunn lebt in der britischen Hauptstadt und in Rotterdam. Zudem habe er viele belgische Sammler. Beide Gruppen unterstützen die Künstler gerne langfristig.

Fons Hof stellt dem eigenen Publikum ebenfalls ein Lob aus: "In den Niederlanden gibt es weniger große Sammler als etwa in Belgien. Wir sind das Land der vielen kleinen Sammler, die auch gerne Neues ausprobieren."

Erzwungen hat den Umzug der Messe die feste Vermietung der Halle, in der "Prospects" untergebracht ist. Das ist die Präsentation der aktuellen Stipendiaten des Mondriaan Fund. "Diese Präsentation gehört zur DNA der Art Rotterdam", sagt Hof. Tatsächlich gibt es wohl auf keiner Messe der Welt eine bessere Möglichkeit, einen Einblick in die Tendenzen der jüngsten Künstlergeneration zu bekommen. Durch den Auswahlprozess für die Stipendien ist die Ausstellung auch konzentrierter als Rundgänge durch ein halbes Dutzend Akademien.

Ein wesentlicher und sofort ins Auge fallender Unterschied zwischen der Verkaufsabteilung und der Stipendiaten-Schau besteht in den gezeigten Medien. Die junge Generation arbeitet zumindest hier viel mit Video. Das dürfte nicht nur dem vorwiegend nicht-kommerziellen Charakter geschuldet sein. Erstaunlich jedoch die Vielfalt der Beobachtungen aus der realen Welt – Digitalkunst spielt hier praktisch keine Rolle. Unter den 86 Positionen findet sich lediglich eine computergenerierte (Sound)-Arbeit. Sogar die großen Fragen werden nicht gescheut. Die Taiwanesin Hsiang-Yuna Huang untersucht in ihren Videoarbeiten, die auf eigenen Gedichten beruhen, den Umgang mit Tod und Trauer. Die 1998 geborene Isa de Jong spricht in ihrem Langzeitprojekt "Born in a diamond mine" mit einhundert Gleichaltrigen der Generation Z jeweils vier bis sechs Stunden lang über ihre Vorstellungen von der Welt und Erwartungen an das Leben. Unter eines der gleichzeitig entstandenen Fotoportraits setzen die Interviewten handschriftlich ein von ihnen selbst ausgewähltes Zitat aus dem Interview. So entsteht ein komplexes und empathisches Portrait ihrer Generation. Auch die ganz große Geste findet hier Platz. Der knapp 30-jährige Cas van Deurssen hat eine monumentale Spielwand aufgebaut, die gut zu dem experimentellen Format passt.
Die Art Rotterdam tut gut daran, das liebgewonnene Architektur-Juwel zugunsten eines modernen Zweckbaus zu verlassen, um weiterhin mit der Talentshow verbunden bleiben zu können.

Mehr Texte von Stefan Kobel

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Art Rotterdam
01 - 04.02.2024

Van Nellefabriek
3044BC Rotterdam, Van Nelleweg 1
Tel: +31 10 742 02 58
Email: info@artrotterdam.com
http://www.artrotterdam.com
Öffnungszeiten: 11-19 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: