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Katherine Bradford - American Odyssey: Körper als Projektionsflächen

Die hier dargestellten Figurinen scheinen aus den Flächen heraus zu gleiten, sie sind aber mit dem Untergrund, der sich nicht nur um sie herum ausbreitet, sondern auch sie selbst einschließt, verwoben. Die ziemlich am Beginn der Ausstellung hängende Arbeit Couple No Shirts aus 2018 zeigt ein Paar zweier gesichts- und konturloser Gestalten mit nacktem beziehungsweise halbnacktem Oberkörper, die den Betrachter:innen frontal zugewandt sind. Das eine Körperfeld ist in Bradfords lose in der Tradition des abstrahierten Expressionismus stehenden, stark an Mark Rothko erinnernden Art des „Colourfield Paining“ mehr Farbfeld als geschwungener Körper. Selbst der Umhang und die rote Hose der linken Figur lassen sich eher als abstrakte Farbfeldgebilde denn als in sich selbst aufgehende Objekte fassen. Selbsterklärend ist auch das flächig wirkende Rauminterieur in Form eines den Großteil des Hintergrundes einnehmenden Sofas in Dunkelviolett nicht, auf dem die Gestalten Platz genommen haben. Wobei die Figuren mehr schwebend als sitzend erscheinen – das Fehlen von Tiefe sowie der Verzicht oder die verzerrte Wiedergabe von Perspektive tragen dazu bei. Sinn ergibt sich aus der Kombination der folglich erst ins Figürliche oder Objekthafte ausufernden Farbfelder zueinander. Daraus speist sich auch die für Bradford typische Ambivalenz zwischen Figuration und Abstraktion. Ließen Positionen wie Hans Hofmann, Stanley Whitney oder auch Rothko nichts Gegenständliches durchsickern, ist es in Bradfords Malerei überhaupt und besonders jener der seit 2016 entstandenen Werke anders. Dargestelltes ist Fläche, Farbraum und Ding in einem. Die in die Zweidimensionalität gebrachte Räumlichkeit und die Farbgewalt stehen so wiederum Matisses Spiel mit Vorder- und Hintergrund nahe, wenngleich ihrem Experimentieren ein individuelles Moment innewohnt. Da wäre dann noch das Verhältnis zwischen dunkel, oft in Tiefviolett oder Tiefbau gehaltenem Hintergrund und den Figuren, die durch ihren fast neonfarbenen, komplementär zur Fundierung gesetzten Charakter etwas Leuchtendes erhalten und aus dem Bild heraustreten. Water Lady, eine im Wasser kniende Gestalt, die von einer schwebenden Flasche überschüttet wird oder Women under Stars, ein Konvolut sitzender, ineinander überlaufender, aus dem dunklen Sternenmeer emporkommender Frauenkörper, sind Beispiele dafür.

Mit den ebengenannten Arbeiten ist die gesellschaftspolitische Dimension Bradfords bereits angedeutet: Zum einen lotet Bradford das Verhältnis von Individuum und Gruppe aus, indem sie den im Heldenkult auf Denkmälern vorherrschenden Einzelkämpfer vom Sockel hebt, eine funktionierende Gemeinschaft entgegenstellt. Die Beziehung der Personen spielt da eine Rolle - wie sie zueinanderstehen, wie sie sich gegenseitig zu- oder voneinander abwenden, wie sie sich berühren, umhalsen oder gar ineinander verschränkend eine Symbiose eingehen. Keine Bewegung ist bei Bradford zufällig. Zum anderen ist es die Konturlosigkeit der Figurinen, mit der sie sich nebenbei, doch bewusst intendiert in zeitgenössische feministische Diskurse einschreibt und zwar im Sinne eines genderfluiden Verständnisses von Körper. Damit zusammenhängend lassen sich die sogenannten Superheld:innen ins Feld führen, die in der Schau zu sehen sind. Zunächst sei gesagt, dass Bradford den männlich dominierten Superheldenkult aufgreift, um ihn hinterfragend ins Lächerliche zu ziehen. Das begann schon in den 90ern mit männlichen Superhelden in Badehose oder in aberwitzigen Umhängen. Es formte sich weiter mit der Herausstellung sogenannter Superwomen, die die Omnipräsenz des männlichen Helden als dessen Gegenspielerinnen herausfordern. Schließlich sind in ihrer jüngeren, 2020 entstandenen Arbeit Superheroes dezidiert Superheld:innen gezeigt, die Kategorien von Gender, aber auch Race und Class im intersektionalen Sinne hinter sich lassen, besser gesagt fluide machen. Man denke in dem Zusammenhang auch an den Saal 2 bespielende Werke wie Friends Standing in Low Water oder By the Lighthouse, beide 2024 entstanden, wie sie auf diverse Gemeinschaften referieren, diesmal in Form von Alltagsheld:innen in Badeanzügen.

Nicht zuletzt beruht auch Bradfords malerische Vorliebe dem Wasser gegenüber auf einen ganzheitlichen Ansatz und zwar formal wie inhaltlich. Werke wie Swimmers in Blue oder Trio of Swimmers in Blue zeigen Personen, deren Körper mit dem Wasser verwoben ist, ja geradezu eine Einheit bildet. Die Körper führen im Stile von Monets Seerosen einen Tanz mit dem Wasser auf. Sie verschwimmen geradezu mit Blau das sie umgibt und das sie fast in sich aufsaugen, nur um dann doch wieder durch die Farbbeziehungen – dem Blau zum Hellrosa – aus dem allumfassenden Gefüge herauszubrechen. Kompositorisch ist da durchaus eine Nähe zu Matisses Der Tanz gegeben. Inhaltlich, vor allem was die gezielte Uneindeutigkeit zugunsten einer von Diversität geprägten Gemeinschaft anbelangt, erinnern die beiden Wasserbildnisse mehr an Hendrick Avercamp oder Jan Müller. Noch näher, weil beides vereinend, stehen Positionen wie Cecily Browns The beauty of Diversity. Der Essenz des Fluiden stehen dann wiederum realistische, doch inklusiv bleibende räumliche Abgrenzungen gegenüber. Werke wie Sideway Swimmers weisen anhand von Figuren im Wasser, die nebenher schwimmen, doch quasi dieselben Räume benutzen, auf die differenten sozialen Rollen im gesellschaftlichen Alltag hin.

Klug wird der kuratorische Aufbau der Ausstellung dann, wenn man bedenkt, wie die bespielten Räume ein Narrativ psychologischer und psycholanalytischer Räumlichkeit manifest machen. Finden sich in den oberen Sälen vornehmlich Werke, die das Bewusstsein widerspiegeln, gelangt man im unteren Stock in die Dunkelkammer menschlichen Seins. In gedimmtem Licht sind Kleinformate zu sehen, die verdichtet wie Traumlandschaften, Fantasien oder verborgene Schreckensvisionen wirken. Referierend auf Freuds Tiefenpsychologie widmen sie sich dem Unterbewusstsein - den Verlustängsten, der Einsamkeit, der Isolation. Sie sind von sanfter Schwermut geprägt, die sich schrittweise in düstere Melancholie steigert. In Swim Team Outer Space tanzt eine Gruppe schwimmender Frauen in Space Oddity-Manier im aufs Wasser reflektierenden Mondesschein. Pop Corn changiert in fluiden Gefilden zwischen Kinoatmosphäre und Sternenhimmel. Bed Sitter spielt gar auf alptraumgeplagte Hirngespinste und schlaflose Nächte an und steigert den Wahn des Unterbewussten ins Existentielle.

Die HALLE FÜR KUNST zeigt also anhand der letzten acht Schaffensjahre Bradfords einen Werkkomplex, der vielfältig, aber ineinander verschränkt ist. Der in der Schau aufgegriffene Beginn mit dem Jahr 2016 dient zur Herausstellung eines Wendepunktes. Das ist vor dem Hintergrund, dass diese jüngste Schaffensphase der Künstlerin den internationalen Durchbruch beschert hat, schlüssig. Ob die Ausstellung angesichts der engen Fokuslegung tatsächlich als Retrospektive angesehen werden kann, bleibt den Betrachter:innen überlassen. Fakt ist, dass sich aus dem hier präsentierten Werk Bradfords, von dem 23, also mehr als die Hälfte, an gezeigten Arbeiten eigens für die Schau in Graz entstanden sind, Parameter ihrer Entwicklung ableiten lassen: Die Farbfeldmalerei, die sie mit einem Augenzwinkern hinter sich ließ, doch ins Figürliche gesteigert nicht verließ, sickert durch, der abstrakte Malgestus des Figurativen sowieso. Sozialpolitische Ansätze werden in der Form selbst immanent. Der um 2010 stattgefundene Wechsel von Öl- zum schnelleren Acrylmalerei hingegen muss mitgedacht werden. Das eine oder andere Werk ihrer expressionistischen Schaffensperiode vor der Jahrtausendwende hätte da noch gutgetan.

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Florian Gucher ist artmagazine Stipendiat 2023
Wir danken der   für die Unterstützung des artmagazine-Stipendiatenprogramms

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Katherine Bradford - American Odyssey
16.03 - 19.05.2024

Halle für Kunst Steiermark
8010 Graz, Burgring 2
Tel: +43 316 740084
Email: info@halle-fuer-kunst.at
https://halle-fuer-kunst.at/
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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