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Adorno – auch eine Geschichte von 1967

Alle erzählen sie, ob sie nun dabei waren oder eher nicht, momentan eine Geschichte aus dem Jahr 1967. Benno Ohnesorg, Sgt. Pepper, Sechstagekrieg. Hier ist meine, und natürlich hängt sie mit den anderen Geschichten zuammen. Sie handelt, soviel Name Dropping muss sein, von Theodor W. Adorno. Von der Anmut seines Denkens und der Armut seiner letzten Jahre. Verbunden mit einer Lektüre-Empfehlung für den Sommer.

„Das Schöne“, so heißt es in einem berühmten Spruch bei Stendhal, sei eine „Promesse du bonheur“. Adorno nimmt diese Aussicht auf Glück gern auf, in seiner „Ästhetischen Theorie“, an der er in der zweiten Hälfte der Sechziger arbeitete und die bei seinem Tod 1969 „vom Autor nicht vollendet“, wie es lapidar in der Titelei heißt, dalag. Adorno fügt Stendals Diktum zwei bezeichnende Veränderungen zu, indem er seine Hommage so formuliert: „Kunst ist das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird“ (Ästhetische Theorie, S. 205).

„Das Schöne“ ist perdu, natürlich, nach Auschwitz wäre es barbarisch, ihm zu frönen; um so dezidierter arbeitet daran die „Kunst“. Und das „Versprechen“ wird „gebrochen“, doch klingt der Nebensatz mit seinem Dementi ein wenig zu beflissen hinten angehängt, als dass der Widerspruch sich gegen die Aussage wendete. Kunst ist in heftigste Mitleidenschaft gezogen, ist beschädigt, ist, noch so ein Zauberspruch, „Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete“ (S. 39). Kunst entspricht der Welt, in der sie sich behauptet. Allerdings wäre diese Welt, diese Überzeugung spricht aus jeder Zeile, noch viel unerträglicher, gäbe es Kunst nicht. Adorno schreibt, mit anderen Worten, eine Theorie der Kompensation.

Sein Buch ist auch eine Kompensation durch Theorie. Immer wieder hatte der Professor an seiner Frankfurter Universität der Nachkriegszeit Vorlesungen zum einschlägigen Thema Ästhetik gehalten, beginnend im Sommer 1950, dann Mitte der Fünfziger, wieder Anfang der Sechziger, und 1967 im Sommer sowie im darauf folgenden Wintersemester 1967/68 ebenso. Die Zeiten waren währenddessen andere geworden. Vor allem auch politisch: Am 6. Juni 1967 konnte Adorno das Auditorium noch ganz im Einklang mit den Umtrieben bitten, „sich zum Gedächtnis unseres toten Berliner Kommilitonen Benno Ohnesorg zu erheben“. Einen Monat später wurde es schon heftiger. Adorno sprach auf Einladung Peter Szondis in Berlin „zum Klassizismus von Goethes Iphigenie“. Dabei durfte er sich dann, in Anspielung auf ein Verdikt von Jürgen Habermas, ein Transparent mit folgender Aufschrift unter die Nase halten lassen: „Berlins linke Faschisten grüßen Teddy den Klassizisten“. Dass die Chose bald völlig aus dem Ruder lief, ist notorisch. Adorno ließ die Polizei in seine Institutsräume rücken, die Galionsfigur ungebrochen linker Gesinnung trieb auf den Obrigkeitsstaat zu. Diese buchstäblich verrückte Konstellation sollte ihn letztlich allzu früh ins Grab bringen.

Adorno hatte Kunst immer groß geschrieben. Das las sich dann so: „Der Bürger wünscht die Kunst üppig und das Leben asketisch; umgekehrt wäre es besser“ (S. 27); „Radikale Kunst heute heißt soviel wie finstere, von der Grundfarbe schwarz“ (S. 65); „Mehrfach ist, zuerst wohl von Karl Kraus, ausgesprochen worden, daß, in der totalen Gesellschaft, Kunst eher Chaos in die Ordnung zu bringen habe als das Gegenteil“ (S. 144); „Große Kunstwerke können nicht lügen“ (S. 196). Doch auch diese Kunst hatte sich verändert.

1966 hatte Adorno in Berlin einen Vortrag gehalten, in dem er bündelte, was ihm düster dräute. „Die Verfransung der Künste“, so der Titel, brachte auf den Begriff, was an Undeutlichem und Unreinem zusammengekommen war: all das Nicht-mehr-Puristische einer nicht mehr modernistischen Konzeption. Im Jahr davor, 1965, hatte Donald Judd seinen epochalen Aufsatz „Specific Objects“ veröffentlicht, das Manifest der neuen Unübersichtlichkeit. „Linear history has unraveled somewhat“, heißt es darin in forcierter Indifferenz. Lineare Geschichte hat sich „etwas zerfranst“. Judd und Adorno sind auf der selben Begrifflichkeit unterwegs – und natürich in entgegengesetzte Richtungen. Bald werden ihre Fransen dann vom Pilz befallen werden. Das Rhizom bemächtigt sich der Gegenwart.

Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt: Suhrkamp 1970

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Abbildung: Theodor W. Adorno ruft gegen die studentische Institutsbesetzung die Polizei zur Hilfe. – Quelle: http://www.ksta.de/13320860 ©2017

Mehr Texte von Rainer Metzger

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