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Der Kunstverein als Möglichkeitsraum

Bettina Steinbrügge ist die erste Frau an der Spitze des zweitältesten Kunstvereins in Deutschland. Für dessen 200-Jahr Feier hat sie ein Programm zusammengestellt, das ihre Sicht auf die aktuellen Aufgaben eines Kunstvereins, die Möglichkeiten des Denkens und die Basis der Demokratie und der gesellschaftlichen Entwicklung in den Mittelpunkt stellt.

artmagazine.cc: Der Kunstverein in Hamburg feiert dieses Jahr 200. Jubiläum. Ist eine solche geschichtsträchtige Tradition Belastung oder Herausforderung?

Bettina Steinbrügge: Eine geschichtsträchtige Tradition ist eher Privileg und Herausforderung als Belastung. Belastung in dem Fall nur, weil mit einem kleinen Team ein Jubiläum gestemmt werden soll. Gerade die Aufarbeitung der Geschichte bedarf doch einiges an Konzentration und auch Manpower. Aber dafür hatten wir glücklicherweise auch das Team des Kunsthistorischen Institutes der Universität Hamburg, das fast zwei Jahre für uns gearbeitet hat. Die Geschichte selbst ist ein Gewinn.
Obwohl ich bereits seit längerem in und mit Kunstvereinen beschäftigt bin, habe ich erst in Hamburg das erste Mal die gesamte Geschichte und Herkunft der Kunstvereine aufgearbeitet und überprüft wie sehr das Ursprungsansinnen des bürgerlichen Vereins auch heute noch aktuell ist oder neu nutzbar gemacht werden kann. Wir haben als Team dabei auch immer an die Zukunft gedacht und uns gefragt, wie man aus der Geschichte Erkenntnisse für zukünftiges Arbeiten gewinnen kann.
Die Geschichte ist ein auf und ab, gespickt mit vielen Höhepunkten und auch mit schwierigen Phasen - sie bildet die kulturelle Entwicklung in Hamburg und im deutschsprachigen Raum ab. Ich bringe dem, was in diesem Verein geleistet wurde, allergrößten Respekt entgegen und hier liegt natürlich auch die Herausforderung. Wie trägt man diese Tradition weiter? Die Aufarbeitung hat dabei sehr geholfen und den Blick für vieles geöffnet, was im Tagesgeschäft nur zu gerne unter den Tisch fällt. Es gibt hier etwas zu verteidigen und zu schätzen, etwas was viel länger währt als das eigene kuratorische Konzept.

Dann zur Gegenwart: Welche Möglichkeiten oder Aufgaben hat ein Kunstverein wie der in Hamburg für Sie heute?

Kunstvereine sind Möglichkeitsräume. Ich zeige etwas, was ich für wichtig erachte, auch wenn es nicht konform ist. Ich möchte den Blick öffnen für die Möglichkeiten des Denkens außerhalb des Mainstreams.

Können Sie dafür konkrete Beispiele aus Ihrer Ausstellungspraxis hier im Kunstverein in Hamburg nennen?

Die Frage ist komplex, da es zum einen um Formatfragen, zum anderen um inhaltliche Fragestellungen geht.
Ich versuche es mal mit drei Beispielen: Ausstellungen wie die von Geoffrey Farmer im Jahr 2014, die Stipendiatenausstellung im Jahr 2015 und die diesjährige Ausstellung des französischen Künstlers Jed Martin, die wir in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus in Hamburg machen, leben von der Frage nach dem Format. Farmers Beitrag stellte sich als Mini-Oper mit einer Laufzeit von sechs Stunden dar, die die Besucher zum mehrfachen Besuch animieren sollte.
Die Stipendiatenausstellung dagegen förderte den schnellen Rhythmus mit Fokus auf adäquate Präsentation und Sichtbarkeit der einzelnen Positionen. Jed Martin (22. April - 18. Juni 2017, Anm. d. Red.) verbindet den Theater- und den Kunstraum miteinander, wobei beide auf die Logik des jeweils anderen Ortes eingehen und so eine andere Sichtweise erlauben. Sehgewohnheiten sollen so aufgebrochen werden, dass neue Erfahrungen möglich sind.
Bei der Auswahl der präsentierten KünstlerInnen steht das künstlerische Experiment im Zentrum. So bespielte die Elektromusikerin Holly Herndon im Sommer 2015 den Kunstverein mit einer raumgreifenden Klanginstallation, die sich mit der physischen Präsenz des menschlichen Körpers im Internet auseinander setzte. Dies war die erste Einzelausstellung von Herndon, die über das Format einer Performance hinausging und auch für sie neue Fragestellungen eröffnete.
Auch James Benning, ein gestandener Filmemacher, präsentierte im Kunstverein in einer großen Einzelausstellung sein künstlerisches Werk, das in einem gattungsübergreifenden Grenzgang Fragen nach Radikalisierung verhandelte. Er ging das Thema der Radikalisierung komplett anders an, als es im Mainstream diskutiert wurde, sondern bezog sich auf Thoreau und die Industrialisierung im 19. Jahrhundert.
Das hat auch meinen Blick für eine ganz anders geartete Argumentationslinie geöffnet. Genauso Lili Reynaud Dewar, die sich fragt, warum es überhaupt Rassen- und Geschlechtertrennung gibt und so originell wie auch präzise argumentiert - jenseits des herrschenden Argumentationsmuster - dass man einigermaßen erstaunt den Kunstraum verlässt, weil wohlbekannte Diskurslinien plötzlich auf den Kopf gestellt werden. Wenn das funktioniert, finde ich das super. Denn die Kunst ermöglicht genau dies.

Fürchten Sie, dass diese Freiheit des künstlerischen Denkens angesichts der aktuellen Hochkonjunktur des rechten Populismus eingeschränkt werden könnte?

Im Moment mache ich mir noch keine Sorgen, zumindest nicht in Deutschland. Die Deutschen sind derzeit noch am wenigsten empfänglich für populistische Strömungen, wie gerade auch neueste Statistiken belegen. Aber das ist natürlich nur ein kleiner Trost, wenn wir die weltweite Entwicklung sehen, die ein ganz anderes Bild zeichnet. Die Demokratie und damit auch die Freiheit der Kunst stehen gerade vor allergrößten Herausforderungen.
Ich glaube, wir müssen uns bewusst werden, dass wir - auch in Deutschland - im Zuge aller Individualisierungstendenzen und dem Primat des wirtschaftlichen Denkens - vergessen haben, woraus sich ein starkes demokratisches Gefüge zusammensetzt.
Bildung, Kultur und Gemeinwesen sind immer weiter zurückgeschraubt worden und jetzt stehen wir vor dem Dilemma, dass wir dies wieder neu erlernen müssen.
Jan Philipp Reemtsma schreibt in seinem Büchlein „Das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit“ - eine Kompilation von sechs Vorträgen zu Literatur und Kunst - von seiner Überzeugung, dass eine Gesellschaft, die keine Achtung mehr vor ihrer eigenen Kultur hat, der ihre eigene Unbildung gleichgültig geworden ist, nicht nur ernsthaft gefährdet, sondern im Grunde hoffnungslos ist.
Wenn selbst die Bildung einer kulturellen Elite für überflüssig gehalten wird, weil man ihr Wertschöpfungspotential nicht zu beziffern vermag, dann hat der Ausverkauf der eigenen Tradition begonnen. Hier liegt eine echte Aufgabe, der wir uns mit Selbstbewusstsein stellen müssen. Es gilt wieder, und dies über die Grenzen hinaus, für die Freiheit der Künste einzustehen. Wir müssen auch sehr genau beobachten, was international passiert und wo die Künste signifikant eingeschränkt werden.
Ich bin derzeit z.B. sehr gespannt, wie die nächste Istanbul Biennale sich gestalten wird. Derzeit scheint es noch zu funktionieren. Aber können wir uns wirklich sicher sein?

 

Kunstverein in Hamburg
Klosterwall 23
20095 Hamburg
www.kunstverein.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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