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Hiwa K - Don’t Shrink Me to the Size of a Bullet: Politische Erinnerungsarbeit

Der seit 2001 in Europa lebende Hiwa K verarbeitet in seiner Kunst immer wieder politische Momente aus seiner einstigen Heimat Irak. Besonders seinen Videoarbeiten gelingt es, diese Erinnerungen in subjektive Psychogramme zu überführen, die gesamtgesellschaftliche Prozesse reflektieren.

Hiwa K gehört derzeit zu den „shooting stars“ der internationalen Kunstszene, nicht nur wegen seiner beiden Auftritte auf der documenta 14 in Athen und Kassel. Jetzt ist seine spannende Einzelausstellung „Don't Shrink Me to the Size of a Bullet“, primär mit Videoarbeiten aus den letzten 10 Jahren, in den Berliner KunstWerken zu sehen. Diese Fokussierung auf die Videoarbeiten zeigt eindrucksvoll, dass Hiwa K in diesen - wie in seinen skulpturalen Setzungen auch - stets narrative Strukturen durchspielt. Zudem wird deutlich, dass seine Videos durchaus komplexer angelegt sind als seine oftmals vergleichsweise einfach, dafür unmissverständlich und direkt formulierenden Skulpturen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist Hiwa Ks Video „Moon Calendar, Iraq“, 2007, das Hiwa K selbst zeigt, wie er zu dem Rhythmus seines eigenen Herzschlages steppt. Diese performanceartige Übung findet signifikanterweise in dem ehemaligen Gefängnis Amna Souraka in Sulaimaniya, Irak, statt. Dieses Gefängnis ist berühmt-berüchtigt dafür, dass Saddam Hussein dort politische Gefangene seit den frühen 1980er Jahren foltern ließ. 1991 wurde das Gefängnis „befreit“, heute befindet sich dort ein Museum für Kriegsverbrechen. Hiwa K nun hört in seiner Performance mit Hilfe eines Stethoskops auf den Takt seines Pulsschlags und setzt diesen dann tanzend um. Der dabei sich ereignende Bodenkontakt ist nicht nur ein Versuch einer temporären, zaghaften Besitznahme dieses gleichsam kontaminierten Grundes, sondern drückt auch die Erregung aus, die der Künstler dabei, in der Erinnerung an die überaus unheilvolle Geschichte des Gefängnisses, empfindet - Hiwa K wurde 1975 in Sulaimaniya geboren.

Auch das Video „This Lemon Tastes of Apple“, 2011, ist eine explizit politische Arbeit. Wieder ist der Künstler selbst zu sehen, zusammen mit einem Freund hat er sich einer Demonstration in Sulaimaniya angeschlossen, der letzten mehr oder weniger friedlichen Demonstration vor der gewaltsamen Niederschlagung des Irakischen Frühlings. Beide spielen gemeinsam die legendären Akkorde aus „Spiel mir das Lied vom Tod“, die die politischen Kämpfe im Irak kommentieren, aber auch auf den im Video ebenfalls zu sehenden Tränengaseinsatz reagieren, mit dem die Demonstranten schon bei diesem Aufmarsch malträtiert werden. Die Aufnahmen von Hiwa Ks Musikperformance wurde in dem Video ergänzt mit Videoaufnahmen anderer Demonstranten, so dass eine eindeutige Autorenschaft bei dieser Arbeit ein Stück weit zu Gunsten einer kollektiven Autorenschaft aufgegeben wird. Der Titel der Arbeit wiederum spielt an auf den Giftgaseinsatz mit dem Saddam Husseins Luftwaffe 1988 die kurdische Bevölkerung Iraks ausrotten wollte. Das Gas damals roch nach Äpfeln ...

Wie schon „Moon Calendar, Iraq“ so verzichtet auch „This Lemon Tastes of Apples“ auf eine narrative Entwicklung oder gar auf eine Dramaturgie. Dadurch gelingt es beiden Videos einem elaborierten, handwerklich allzu versierten Kunstbegriff eine Absage zu erteilen – und eben dadurch lapidare, aber gerade deswegen eindrucksvolle Bilder zu präsentieren.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Hiwa K - Don’t Shrink Me to the Size of a Bullet
02.06 - 13.08.2017

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