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Joannis Avramidis: Ein Tempel für die Menschheit

Die Arche Noah, so weiß man, ist am Berg Ararat gestrandet. Das wiederum bedeutete die Besiedelung der Welt nach der Sintflut. Joannis Avramidis wurde 1922 eben dort - zwischen dem berühmten Berg Ararat und dem Kaukasus - in Batumi (im heutigen Georgien) geboren. Die Wirren der Geschichte zwangen ihn und seine Familie 1936 als griechisch-stämmig zur Auswanderung nach Athen. Das begonnene Malereistudium an der Staatlichen Hochschule in Batumi mußte er abbrechen und seine Ausbildung in Griechenland fortsetzen. Als Fremdarbeiter kam Joannis Avramidis 1943 nach Wien, wo er 1945 bis 1956 Malerei und Bildhauerei studierte. Ab den 1950er Jahren war er als Künstler anerkannt. Themabezogen zum menschlichen Körper entstanden abstrakte Skulpturen. 1965 wurde Avramidis als Professor an die Akademie der bildenden Künste in Wien (Klasse für Aktzeichnen) berufen, die Gastprofessur an der Akademie der bildenden Künste in Hamburg (1966/67) und die Professur für Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien (1968) folgten. Der Künstler ist Träger zahlreicher Auszeichnungen, wie dem Großen Österreichischen Staatspreis. Werke befinden sich in Museen weltweit. 1997 fand zudem eine umfangreiche Schenkung von Werken an die Nationalgalerie in Athen statt. Avramidis vertrat Österreich bei der Biennale in Venedig 1962 und war Teilnehmer an der documenta III und IV. Das Leopold Museum hat sich in einer in der Kunstwelt längst überfälligen Auseinandersetzung dem Oeuvre des Künstlers angenommen und widmet Joannis Avramidis eine sowohl inhaltlich lückenlose wie auch ästhetisch hochwertige Präsentation . Die menschliche Figur war für Avramidis von allem Anfang an Anlass seines Arbeitens, sie bildete Beginn und Ende. Ab den 1960er Jahren standen sich im Werk die extremsten Pole zwischen Konstruktion und lyrischer Freiheit zunehmend gegenüber. Zur etwa selben Zeit trat das Baumthema in Erscheinung. Neben Naturstudien war es der menschliche Körper, der Avramidis in diversen Ausformungen (Material und Form) bis zum Schluß faszinierte. So war es der Mensch, der für den Künstler das Maß alle Dinge darstellte. Es war die Suche nach einer universalen, zeitlosen Formensprache, deren Ursprünge man auch in der griechischen Hochkultur findet. Sein auf mathematischen Regeln fundiertes Prinzip der Konstruktion knüpft sowohl an antikes Wissen wie auch an das Denken der Renaissance an. Harmonie, Symmetrie und Proportion der Menschen, die sich demokratisch, auf gleicher Ebene begegnen. Basierend auf dem Phänomen der Isokephalie findet die Begegnung der Skulpturen(-teile) in gleicher Kopfhöhe statt. Mit der in der Ausstellung gezeigten Polis (1965 - 68) knüpfte der Künstler an Platons Utopie des Stadtstaates als Einheit freier und gleichberechtigter Individuen an. Die Humanitassäulen gehen weiter und ragen über alles hinaus, so auch über einen geplanten, zu Lebzeiten von Joannis Avramidis nicht mehr realisierten Tempel, dessen Ansätze im letzten Raum der Ausstellung gezeigt werden. Des Kosmopolit und Konstrukteur der absoluten Figur, dessen Skulpturen aus der Suche nach einer universalen, zeitlosen Formensprache resultierten verstarb im Januar 2016. Neben der Ausstellung im Leopold Museum übertrahlt die 13 Meter hohe Humanitassäule im Hof des Museumsqartiers mit ihrer Würde und Grazie den Platz. Gleichzeitig verweist sie auf das Menschsein - die Normen und Verhaltensweisen, die den Menschen ausmachen. In diesem Sinne kann man wieder an die Antike anknüpfen - Homo sum, humani nihil a me alienum puto. (lat.: Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches, denk ich, ist mir fremd.)

Mehr Texte von Iris Stöckl

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Joannis Avramidis
19.05 - 04.09.2017

Leopold Museum
1070 Wien, Museumsquartier
Tel: +43 1 525 70-0, Fax: +43 1 525 70-1500
Email: leopoldmuseum@leopoldmuseum.org
http://www.leopoldmuseum.org
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h


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