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Stolpersteine

Gedenken herrscht. Die erste Woche im November der Toten überhaupt, die zweite der Opfer des Nationalsozialismus. Das ist so sinnvoll wie verständlich, so anspruchsvoll wie nützlich. Was alles das nicht ist, sind die sogenannten „Stolpersteine“, die mittlerweile über 50.000fach auf Gehsteigen, Straßen, Plätzen verteilt sind. Um sie, ein „Projekt“, wie ihr Impresario Gunter Demnig es nennt, soll es im Folgenden gehen. Man muss einen Antrag stellen. Das heißt, mindestens zwei. Zum einen bei der Verwaltung, die muss der Verlegung zustimmen, einen Auftritt genehmigen, der eine Art Inauguration bedeutet, und zur Not auch einen außerplanmäßigen Parkplatz zur Verfügung stellen, denn der Initiator kommt mit dem Auto. Und dann muss man natürlich bei Demnig und seinem Team einen Antrag stellen, muss eine Recherche verbürgen, muss einen Namen nennen und gewisse Daten vorweisen, vor allem ein Sterbedatum samt Sterbeort, und sie müssen etwas mit den Mordpraktiken des NS zu tun haben. Ist all das genehmigt, kommt Demnig vorbei und fügt dem Boden einen Betonwürfel von etwa zehn Zentimetern Kantenlänge ein, dem eine Plakette aus Messing appliziert ist. Sie enthält die Daten. Verlegt wird das Stück an der Stelle, wo die Menschen wohnten, bevor sie den Nazi-Barbareien zum Opfer fielen. Für 120 Euro ist die Sache getan. Möchte man noch eine von Demnig persönlich erledigte Vorstellung seiner Kampagne, Dauer ca. 50 Minuten, kostet es zusätzliche 200 Euro. Teuer ist es nicht. Abb: Website Gerade haben sie bei mir in der Nähe interveniert. Müßig anzumerken, dass man als Anwohner nichts dagegen unternehmen kann. In einer Stadt, in der man selbstverständlich regresspflichtig ist, wenn sich einer um acht Uhr in der Früh das Bein bricht, weil man am Trottoir vor seiner Haustür den Schnee noch liegen hatte, besitzt man keine Verfügung auf das Areal, wenn es symbolisch daherkommt. Die Alltagspraxis wird einem zugerechnet, die Deutungshoheit aber steht der Obrigkeit zu. Das kann auch unangenehm werden. Wer vor seinem Privathaus einen der Stolpersteine liegen hat, steht schnell im Verdacht, ein Arisierungsgewinnler zu sein. Unrecht insinuieren funktioniert immer. Worauf Demnigs Zwangsbeglückung mit Historie dabei tunlich verzichtet, ist die ganze Geschichte. Im Tunnelblick auf die ominösen Jahre ist Komplexität ein Kollateralschaden. In diesem Sinn gilt Demnig jede Kritik als Erfüllungshilfe für die Rechten. Und dann sollen die Stolpersteine auch noch Kunst sein. 1993 hat Demnig, der stets, Beuys und von Hagens winken herüber, einen Hut trägt, einen „Entwurf zum Projekt“ ersonnen, seit 2000 gibt es die Stolpersteine real. Es war in eben dem Jahr 1993, dass Jochen Gerz seine „2146 Steine“ in Saarbrücken finalisierte. In Nacht-und-Nebel-Aktionen hatte er drei Jahre lang zusammen mit Studierenden Pflastersteine aus dem Schlossplatz gerissen, einen Platzhalter eingesetzt, die mitgenommenen Stücke dergestalt bearbeitet, dass er ihnen die Namen aufgelassener jüdischer Friedhöfe eingravierte, und sie dann wieder an ihre Stelle befördert – mit der Schrift nach unten. Das Klandestine, das Anonyme, die genau reglementierte Zahl und die Nichtkennzeichnung der bearbeiteten gegenüber den unbearbeiteten Steinen machen dieses Projekt zu einem jener Fragmente aus der Zukunft, die für Kunst stehen, wenn sie gut ist. Aber wer kommt schon an Gerz heran. Demnig jedenfalls nicht. Seine prominenteste Kritikerin Charlotte Knobloch bringt es auf den enfachen Gedanken, dass sie die Opfer nicht mit Füßen treten will. Damit ist letzlich alles gesagt. Keine Kunst seit den Sechzigern kommt ohne Performativität aus, ohne die Erfahrung des Motorischen, des Körperlichen, des Taktilen. Selbst Peter Eisenmans reichlich misslungenes Berliner Denkmal hat seine Qualität in der Desorientierung, die ein schwankender, labyrinthischer, das Abgründige streifender Grund herstellt. Eisenmans Problem ist die Prätention, der großen Zahl der Opfer mit der großen Zahl der Stelen begegnen zu wollen. Bei Demnig ist das genauso. Und das ist es dann auch allein. Kein Effekt der Desintegration, keine Unsicherheit. Dafür gutes Gewissen. Dafür das, was Elias Canetti, der es tatsächlich wusste, „Friedhofsgefühl“ nannte, der Triumph dessen, der steht, gegenüber denen, die liegen: „Sie können nicht voneinander fort, sie bleiben wie auf einem Haufen. Er allein kommt und geht wie es ihm beliebt. Er allein unter den Liegenden steht aufrecht.“ Gedenken jedenfalls geht anders. www.stolpersteine.eu
Mehr Texte von Rainer Metzger

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