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Der Sand aus den Uhren: Zeit und Erinnerung

In den Ausstellungsräumen des Franz Josefs Kai 3 hat der Wiener Kunstsammler Benjamin A. Kaufmann zeitgenössische Werke zum Thema Shoa, Erinnern und ihrem (Nicht-)Vergessen zusammengestellt. Sowohl Zeit als auch Ort sind bewusst gewählt. So jährt sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November zum achtundsiebzigsten Mal das Erinnern an die Reichspogromnacht von 1938. Damals brannten Synagogen, jüdische Einrichtungen, Bücher und Geschäfte. Öffentliche tätliche Übergriffe auf jüdische Menschen wurden leicht gemacht. Auch der Ort, Franz Josefs Kai 3, eignet sich für den Versuch, das Unaussprechliche darzustellen, denn seit 1899 beherbergte das Haus die Firma der Brüder Schwadron, die Tonwaren herstellte und Bäder und öffentliche Orte mit kunstvoller Keramik ausstattete. Der jüdische Familienbetrieb wurde 1938 arisiert. Einem Gesellschafter gelang die Flucht nach Amerika. Adolf Schwadron hingegen stürzte sich in den Märztagen des Jahres 1938 aus dem Fenster. Aus Bedrohung und Angst nahmen sich viele Menschen in Österreich kurz vor dem Einmarsch Hitlers das Leben. (siehe auch Egon Friedell) Benjamin A. Kaufmann versucht in dieser Ausstellung in Anlehnung an die Dichtkunst Paul Celans eine Formensprache zu entwickeln, mit der das Ereignis der Shoah partiell erzählt oder nahegebracht werden kann. Kaufmann hat im Verlag Salon für Kunstbuch ein dünnes Bändchen mit dem Titel: „In dieser Sprache“ herausgegeben, in dem der denkwürdige Satz steht: „Meine größte Angst ist es, dass die Zeit nicht linear verläuft.“ Diesen Satz kann man getrost als Leitgedanke der Ausstellung formulieren. Weiters ist das Ringen um eine andere Sprachlichkeit das Thema in dieser Ausstellung. Eine Frage, die auch Paul Celan sein Leben lang beschäftigt hat, als es darum ging der deutschen Sprache der Täter etwas entgegen zu setzen. Deutsch war auch die Sprache vieler Opfer der Barbarei. Und sie sollte weiterhin Ausdrucksmittel und Lebensmittel der Misshandelten sein können. Um diese Möglichkeit, um ihre lyrische Form und um die Musikalität der deutschen Sprache hat Celan ein Leben lang gerungen und wurde anfänglich auch von der Gruppe 47 dafür geschmäht. Die Musikalität von Celans Sprache ist auch in den Werken der Ausstellung zu finden. Da spricht der polnische Künstler Mirosław Balka Textpassagen von Celans Gedichten ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein. Die Worte werden in Form eines Lichtbalkens auf den Besucher „ausgegossen“ und sind teilweise unverständlich. Der Österreicher Fritz Panzer hat seine unheimliche Installation von „Milchpackerln“ von 2011 ausgestellt, in der 18 Drahtgestelle von Milchkartonagen mit schwarzer Wolle umrandet sind und auf die „schwarze Milch“ Passage in Celans wohl berühmtesten Gedicht „Todesfuge“ Bezug nehmen. Der israelische Künstler Ariel Schlesinger ist mit der Arbeit „Nameless“ vertreten: Goldbemalte Pflastersteine, die an das „Stolpersteinprojekt“ in Österreich erinnern. (1) Seine Urnenarbeit unter dem Titel „Inside–out Urn“ von 2013 zeigt ein zerbrochenes und wieder zusammengesetztes Tongefäß, das auch als Urne interpretiert werden kann. Der erste veröffentlichte Erzählband von Paul Celan hieß: „Der Sand aus den Urnen“. In dem ersten Raum der Ausstellung sind Pyramiden aus Ton und Eisenbahnschienen von Martin Creed zu sehen, die als Gräber betrachtet werden können. Besonders die große Ziegelpyramide schließt die dahinter befindliche Wand fast komplett ab und ist somit unüberwindlich. Man kann Sie nicht zur Seite schieben und damit auch nicht aus dem Bewusstsein drängen oder sie passieren. Die Pyramiden von Creed können ohne Zweifel als Epitaph für die Millionen Toten gelesen werden. Auf zwei künstlerische Arbeiten sei hier noch verwiesen: Etti Abergel: 18 weiße Schuhpaare, 2006/16. Es sind „Gipspatschen“ die in einer Art Kreis angeordnet sind, so als hätte sie eine Runde von Menschen gerade eben ausgezogen. Sie verweisen auf den letzten Raum der Ausstellung, in dem das Atelier van Lieshout die Arbeit „Call Center-Shower Unit - Life Size“ aufgebaut hat. Es sind hölzerne Einheiten die in reduzierter Form Waschbecken und aneinander gereihte Duschen wiedergeben. Grausiger kann man den Schrecken wohl nicht inszenieren. Zuletzt sei noch auf Kaufmanns Befürchtung verwiesen, dass „Zeit nicht linear verläuft“. Aus psychoanalytischer Sicht verläuft Zeit linear, denn Vergangenes ist vergangen. Gegenwärtiges Erleben kann Gefühle aus der Vergangenheit aktivieren und erneut Schmerz bereiten. Damit umzugehen, versucht diese Ausstellung. -- 1) Die Bezeichnung „Stolpersteine für dieses Projekt wäre ja durchaus diskussionswürdig. Es imaginiert die Vorstellung, dass man über tote jüdische Bürger „zufällig stolpern würde“. Siehe dazu auch Rainer Metzgers Blog "Stolpersteine" vom 7.11.2016 (Anm. d. Red.)
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Der Sand aus den Uhren
03 - 22.11.2016

FJK3 – Raum für zeitgenössische Kunst
1010 Wien, Franz Josefs Kai 3
Email: office@franzjosefskai3.com
http://www.franzjosefskai3.com
Öffnungszeiten: Mi-So 12-18, Fr 12-20 h


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