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Teller

Bringen, so wäre es der Leitgegensatz der Gegenwart, der Kapitalismus, die weltweite Kommunikation und die Vernetzung das Dasein des Erdenbürgers durcheinander oder sperren sie es in das stählerne Gehäuse der Gleichförmigkeit? Ist Entwurzelung oder ist Uniformierung unser Schicksal? Sind alle anders oder alle gleich? Tendiert die Realität zur Parzellierung ins Kleine oder zur Nivellierung ins Große? Lebt die Welt von den Emanzipationen, Entmarginalisierungen und Aufwertungen des Peripheren oder ist Globalisierung ihr Schicksal? Die piktorale Welt von Jürgen Teller spannt sich auf extreme Weise zwischen diesen Polen auf. Gerade ist in der Bundeskunsthalle in Bonn eine Art Retrospektive des Fotografen, der sich längst als nichts anderes denn als Künstler versteht, zu sehen. Teller wurde in den frühen Neunzigern berühmt als Vertreter eines bildnerischen Grunge, er hat Nirvana abgelichtet und von Kristen McMenamy nichts anders als ihre Nacktheit, ihren starren Blick, eine mit Lippenstift auf ihre Brust gemaltes „Versace“-Labeling und zwischen ihren Schenkeln ein Tamponbändchen aufs Lichtbild gebannt. Und immer wieder hat er sich selber gezeigt, nicht minder nackt oder wenigstens kreatürlich, in der Sauna und als fürsorgliches Familienoberhaupt. Sich dem einen, dem weltweit gleichgeschalteten Reich des Schönen, Reichen, Trendigen und Jet-Settigen, oder dem anderen, dem Beiläufigen, Vernakulären, Heimeligen und Heimatlichen, verbunden zu fühlen, kann jeweils für sich so verständlich wie buchstäblich naheliegend zu sein. Den Glamour abzulichten und sich dabei als zugehörig zu deklarieren, indem man sich als Bestandteil zeigt, reicht aus für eine Karriere. Zu demonstrieren, wo man herkommt und dass man dem gleichkommt, wo man herkommt, gehört andererseits in jede Biografie. Bemerkenswert aber ist allemal der Spagat, dessen es für Jürgen Teller bedarf, um Stephanie Seymour im entsprechenden Ambiente abzulichten, sich mit dem Zahnpasta-Lächeln der Miss World - Kandidatinnen zu arrangieren, en gros die nicht minder auf Miss World - Status erpichten Model-Elevinnen zu empfangen und wie gerade für Bonn mit Eva Herzigova durch den ehemaligen Kanzler-Bungalow zu streifen. Und sich sodann in wüster Proletarier-Geste nackt mit Bierflasche und Fußball vor dem Grab des Vaters im heimischen Mittelfranken einzufinden. Im Sinne der epochalen Leitdifferenz ist für eine zeitgenössische Existenz das eine, Globalität, ohne das andere, Lokalität, sowieso nicht zu haben. Dennoch ist die Spannweite, in der Teller diese Polarität in der eigenen Arbeit durchexerziert, ungewöhnlich groß. Geboren 1964, zog er 1986 von Bubenreuth bei Erlangen nach London: Damit ist der Spagat auch topografisch erfasst. In „Wunderkind Tate“, Jodie Fosters Erstlingsfilm als Regisseurin, gibt es die schöne Szene, wo der Kleine in seiner lebensbedrohlichen Genialiät erkannt wird. Tate sitzt am Restauranttisch, zweijährig ungefähr, er hält einen Teller in der Hand, und er ruft „Koffer“. Die Mutter, gespielt von der Filmemacherin, versucht ihm das richtige Wort einzureden: „Teller“. Doch der Junge bleibt bei seinem Begriff, und in der Tat, die Firma, deren Signatur rückseitig zu lesen ist, heißt eben nach dem Gepäckstück. Replik der Frau: „Oh, my god“. Juergen Teller, Plates/Teller, No.18, 2016, © Juergen Teller In einem solchen Sinn ist der Clou von Tellers Schau das Prinzip Teller. Hunderte der äquivoken Geschirrteile sind in der Bundeskunsthalle verteilt, skuptural im Raum, als Bildträger der Fotos, als Teile fürs Ganze einer künstlerischen Identität. Das ist ein wenig brachial, und an Brachialität hat es dem Kameraden noch nie gefehlt. Der Anspruch, Kunst zu liefern, kommt damit ganz zu sich. www.bundeskunsthalle.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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