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Das Ding in der Mitte

Der Held konnte endlich durchatmen. Zwölf Aufgaben hatte er hinter sich, berühmt war er geworden durch sie, doch seine Sinne waren ihm dabei ein wenig durcheinander geraten. Er hatte sogar schon jemanden umgebracht. Doch anstatt vollends Amok, lief er einer Frau in die Arme. Hier, bei Omphale, fand Herkules wieder zu sich. Auch wenn er für Außenstehende ein etwas lächerliches Bild abgab. Der Halbgott trug Frauenkleider, hing am Spinnrad herum und frönte der Selbstfindung. Selbstfindungen haben nun einmal ihren Preis. Noch dazu im Falle von Omphale. Omphalos heißt auf griechisch Nabel. Heiß, wie es momentan ist, treiben sie auf das Konzentrierteste ihr Wesen, die Dinger in der Mitte des menschlichen, zumal weiblichen Leibes. Besonders jene stellen ihren Nabel zur Schau, die man junge Mädchen nennt und damit zu verstehen gibt, dass man sie schon für alt genug hält. Umgeben von den Resten von Babyspeck oder von den unmittelbaren Spuren der Anorexie, aufgesockelt auf bisweilen etwas kurz geratene Beine und akzentuiert von legerem Flaum, wirft sich der Nabel in Pose. Und er liegt genau dort, wo sich auf scheinbar magnetische, womöglich von jenem metallenen Stift, der manchmal im Spiel ist, induzierte Weise Ober- und Unterbekleidung gegenseitig abstoßen. Nicht, dass der Nabel erst in dieser Saison dorthin gekommen wäre. Um so mehr gibt die plötzliche Begeisterung für den nach den Füßen unförmigsten Körperteil des Menschen zu denken. Es sieht nicht so aus, dass man es mit ihm meint, wie seinerzeit im Punk: So hässlich wie du, so sagte man den Altvorderen damals, bin ich schon lange, doch im Gegensatz zu dir weiß ich es. Es scheint eher so, dass diejenigen, die ihn vor sich her tragen, sich dabei für schön halten. Nun hat der Nabel erwiesenermaßen damit zu tun, dass wir alle Säugetiere sind, er ist das Relikt der Nabelschnur, und er steht für vollzogene Abnabelung. Das wäre wohl der Punkt: Das Faible für die seltsame Verfurchung der Epidermis steht buchstäblicherweise dafür ein, dass ihr Besitzer nicht mehr an der Mama hängt. Teddi Adorno hat von der "barbarischen Buchstäblichkeit" gesprochen, die die Moderne umtreibt, und es kann sein, dass er wieder einmal recht hat. Buchstäblichkeit gibt es im Slapstick, etwa wenn Woody Allen einen Brocken Humus in der Hand hält und vom "Stück Land" seines Großvaters redet. Buchstäblichkeit gibt es in der Kunst, so zum Beispiel im alten Diktum vom Bild als Spiegel, das bei Pistoletto, Richter oder Zobernig nun tatsächlich als reflektierende Scheibe an der Wand hängt. Und Buchstäblichkeit besetzt die Straße. Das Ding in der Mitte, das die Abnabelung zur Schau stellt, hilft demnach ganz offenbar beim Ausloten. Beim Ausloten dessen, wer und was und warum man ist. Man betreibt Nabelschau. Und als Ergebnis hat man dann den Nabel der Welt. Das Ding in der Mitte, das ist man auf jeden Fall selbst.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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