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Kalte Gesellschaft #2: Mitten in der Wärmekrise

Vieles unterliegt derzeit einem unausweichlichen Wandel. Der Sommer ist kalt und nass, der Winter mitunter heiß. Im Kunstbetrieb kuratieren die Shows immer öfters die KünstlerInnen selbst, weil man sich von ihnen eine komplexere Sichtweise und einen unmittelbareren Zugang zu Fragen der Gegenwart und Gesellschaft und somit dem eben erwähnten dialektischen Wandel verspricht. Die anerkannte deutsche Künstlerin Judith Hopf passt mit ihrem Projekt „Kalte Gesellschaft“ bestens in diese Entwicklung. Nach Berlin macht ihre Ausstellung gerade in der Stadtgalerie Schwaz in Tirol Station. Hopf, Teilnehmerin an der letzten Documenta, die vom Beginn ihrer Künstlerkarriere künstlerische Praxis als Teil eines kollektiven Prozesses verstand, hat immer schon die Produktions- und künstlerischen Arbeitsökonomien in ihrem Handeln und in der Kunst mit einer Dosis Humor reflektiert, was zuletzt für die „ernste“ Kunst nicht gerade gang und gäbe war. In Schwaz widmet sie sich in enger Zusammenarbeit mit anderen KünstlerInnen den Fragen der Zukunft – auch wenn diese zur Zeit aus der Perspektive einer anthropologischen Wende mehr als ein fremdes Land erscheinen mag. Das Ausstellungskonzept geht von der bekannten Begriffsdichotomie von Claude Levi–Strauss aus, der das menschliche Universum, je nach seiner Einstellung zur überlieferten Tradition, in „kalte“ und „heiße“ Gesellschaften klassifizierte. In Bezug auf die Stadt Schwaz, die dank der Silberminen einmal rege florierte, stellt sich die Frage, was passiert, wenn „heiße“, dem Fortschritt und Modernisierungstrends zuerst zugewandte Gesellschaften sozusagen „abkühlen“ und sich nur mit der Pflege des Bestehenden zufrieden geben. Eigentlich eine Fragestellung, die vielerorts auf heutige gesellschaftliche Machtverhältnisse im Kulturpolitischen zutrifft. Keine der hier gezeigten Arbeiten bleibt in Levi-Strauss` „Heiß“ und „Kalt“-Extremen stecken. Die Inhalte der in unterschiedlichen Medien ausgeführten Werke wie Malerei in Großformaten, Kleinskulpturen, Zeichnungen und Fotografien bewegen sich mühelos zwischen beiden entgegensetzten Polen: Zwischen der Erweiterung und dem Schrumpfen der Körper und Lebenswelten zeigen sie, was vor, neben und hinter uns liegt, wie zum Beispiel die im ersten Abschnitt der Ausstellung aus drei Überwachungsspiegeln bestehende Wand- und Bodeninstallation des Duos Martin Ebner und Florian Zeyfang „Super-Ego Baby“. Die drei runden Kontrollinstanzen sind die Anspielung auf eine egomanische und wohlhabende Gesellschaft, die ihresgleichen sucht. Runde Formen, die mit Tunnels oder Schweizer Käse assoziiert werden können dominieren auch die Intervention der Kuratorin Judith Hopf, die dem Galerietisch an der Oberfläche und seitlich mit digital gelöcherter Spanplatte zum Durchbruch der Leerstellen bzw. „Lösungen“ kreativ verholfen hat. Ihr Landsmann Julian Göthe hat den gegenüber liegenden vormodernen Wanddekor mit pechschwarzem Seil minimalistisch vermessen. Wie moderne Sprechblasen rahmt es die kaschierte Bleistiftzeichnung und unterzieht damit das Überlieferte einer Modernisierungskur. Ganz cool und federleicht. Ebenso unbeschwert und exzentrisch erscheinen die bunten Zeichnungen von Jonathan Penca. Die ungewöhnlich hoch an den Ecken der Wände auf kantig-konstruktiven Netzflächen aus Draht angebrachten Zeichnungen fungieren quasi als Vorderseite eines Vogelwesens im Flug. Die vier Jahreszeiten simulierend fabulieren sie diverse Vogelgeschichten, Wissensgrenze samt Ökonomie hinterfragend. Der junge Künstler behandelt im romantischen Märchenstil die Thesen des Ornithologen Peter Berthold über die moralische Verpflichtung zur ganzjährigen Vogelfütterung. Pencas Interpretationen wirken befreiend. Der Däne Magnus Andersen goes pop und sinniert in den figurativen, cross-culture Bildern, in denen er die hohe Kunst der Malerei nostalgisch reduziert, über autoritäre Gesten, Individuen und auch Steuern. Die herkulischen Bildrahmen sind hingegen mit digitalen Icons und Symbolen versehen, wie ein Bildschirm eines Smartphone. Zwischen Schrumpfen und Wachsen, Wärme und Kälte, Tradition und Innovation ist immer Bewegung, die zu den Strukturen, Bruchlinien und Widersprüchen der heutigen Gesellschaften führt. Die überlegte Inszenierung der Arbeiten in der Schwazer Ausstellung verbindet die gegensätzlichen Einstellungen nahezu vorbildhaft.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Kalte Gesellschaft #2
25.06 - 13.08.2016

Kunstraum Schwaz
6130 Schwaz, Palais Enzenberg, Franz-Josef-Straße 27
Tel: 0043 52 42 73 98 3, Fax: 0043 52 42 66 89 6
Email: office@kunstraum-schwaz.at
http://www.kunstraum-schwaz.at
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18, Sa 10-15 h


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