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Siegerkunst

Vor einigen Monaten besuchte ich, es muss in Wien gewesen sein, die Gruppenausstellung einer Galerie. Nach absolvierter Besichtigung ergab sich der obligatorische Small Talk, der diesmal eine sehr einschlägige Wendung nahm. Einer der an der Schau Beteiligten hatte parallel zur Wiener Accrochage eine Einzelpräsentation in Australien, und so wurde ich gefragt, ob ich in „Melbourne“ gewesen wäre, um sie mir anzusehen. Ich war nicht in Melbourne, aber angesichts des Ansinnens so perplex, dass ich in brachialer Ironie erwiderte: „Nein, aber letztes Jahr habe ich ihn in Johannesburg gesehen“. Das war keine gute Replik, falsch war sie sowieso, aber irgendetwas mit Jet Set, Interkontinentalität und der Potenz, den Airbus 380 zu nehmen, musste sie jedenfalls beeinhalten. Der Mentalität, die hier zur Sprache kam, hat Wolfgang Ullrich soeben sein neues Buch gewidmet. „Siegerkunst“ nennt er die Haltung, die sich im Betrieb breit macht, in Produktion, Distribution, Rezeption gleichermaßen. Sie spiegelt einen „kleinen Kreis sehr reicher Menschen“ wieder; bestimmend seien die „eitlen Launen einiger Fonds-Manager, Unternehmer, reicher Erben und Celebrities“. Die vielen anderen machen mit, und ganz wie vor der Moderne bestimmt der Besitz die Verfügung über Kunst. Mit dem bezeichnenden Unterschied: Aus der Aristokratie ist eine Plutokratie geworden. Ullrich, der vor Jahresfrist seine Professur an der Karlsruher HfG aufgab, um wieder als Freiberufler unterwegs zu sein, hat offenbar aufs Richtige gezielt. Sein schmales Buch enthält zwar keine geschwärzten Stellen, aber es sind etliche Abbildungen verhindert, weil manche der als „Siegerkünstler“ Inkriminierten, Jeff Koons, Andreas Gursky oder Doug Aitken, die Abdruckrechte verweigerten. Liam Gillick, ein weiterer von Ullrichs Belastungszeugen, lässt seine Arbeit zwar vorführen, hat aber in der Zwischenzeit eine Plattenedition angekündigt; Titel: „Oh Wolfgang/Good Grief!“. Derlei dünnhäutige Dementis zeigen, dass es mit der Triumphgeste dieser Sieger doch nicht so weit her ist. Überhaupt hat Sieg eine historische Dimension, er zeigt sich nachträglich, abschließend, gleichsam als Fazit. Vielleicht sollte man also lieber von Täterkunst reden, und mancher der Angesprochenen oder Assoziierten steht durchaus im Verdacht prekärer Methoden. Der Täter- wäre nun eine Opferkunst gegenüber gestellt; welche von beiden die definitive Geschichte schreiben wird, ist noch nicht ausgemacht. Wenn die Täterkunst in Galerie und Auktionshaus verhandelt wird, so ihr Vis-à-vis in Kunstvereinen, Biennalen, Non-Profit Spaces. Robert Fleck hat sie eine „zweite Kunstszene“ genannt, Ullrich beschäftigt sich seinerseits kurz damit. Sehr kurz. Damit wären wir wieder bei meinem nicht vollzogenen Flug zu den Antipoden. Seit Kunst nur ein Wort ist, seit 200 Jahren, ist sie, auch wenn selbstverständlich stets das Gegenteil beteuert wird, auf Exklusivität bedacht, auf die Legitimität und die Prominenz der Verfügung über dieses Wort. Der Mechanismus läuft ab über Bloßstellung, Beschämung, Diskreditierung derer, die an dieser Exklusivität nicht teilhaben können, dürfen oder wollen. Und er vollzieht sich in beiden Welten: Auf der einen Seite muss man das Ticket für den fünften Kontinent dabei haben, auf der anderen zur Herkunft aus dem Ghetto noch ein wenig Transgender verkörpern. Schnell ist das ökonomische Defizit ausgemacht, und genauso schnell das intersektionale. Wolfgang Ullrich formuliert eine andere Gemeinsamkeit: Beide sind „Wohlstandsphänomene“. Das auf jeden Fall. Wolfgang Ullrich, Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust, Berlin: Wagenbach 2016
Mehr Texte von Rainer Metzger

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