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Je,.../ I,.../Ich,... – inwiefern?

Es ist ein nicht unspannendes Match, das hier programmatisch vorgegeben wird: Mit zeitgenössischer Kunst „außergewöhnliche Orte“ in Innsbruck zu bespielen. Da kommt es schon vor, dass kunstaffine Einheimische nachfragen, ob man schon in der Einsiedelei des Kapuzinerklosters war, denn die muss man gesehen haben. Wohlgemerkt: Ort!, nicht KünstlerInnen wurden angepriesen. Und es stimmt, diese Klause - ca 1610/15 errichtet - ist mit ihrer Wandverkleidung aus Schiefer- und Tuffstein eine der seltsamsten Raumschöpfungen Tirols und eigenwilliges Zeugnis der Frömmigkeit Maximilians III. Aber das ist eine andere Geschichte. In Sachen Kunst wurden in besagter Location drei Cinématons von Guillermo Tellechea installiert, 3’20’’ Standbild-Videoportraits, die von den KünstlerInnen selbst inszeniert werden. Seit der ersten Biennale 2013 gibt es eine Kooperation mit dem Cinématons-Archiv, sodass speziell Tiroler KünsterInnen vertreten sind. Ein ähnlicher Geheimtipp bezüglich örtlicher Extravaganz war das Apothekenmuseum samt seinen Arznei verheißenden Utensilien und Ingredienzien (allerlei Destilliergläser, Schildkrötendeckel, Walpenis...), in dem Heidrun Sandbichler, die anlässlich der Biennale mit dem Innsbruck International Special Recognition-Preis bedacht wurde, zwei ihrer Werke präsentierte. 15 KünstlerInnen, zwölf Schauplätze, an 10 Tagen zu großzügigen Öffnungszeiten zu besichtigen, z. T. einmalige Events. Ein stringentes, fokussiertes Programm also zum Thema Je,.../ I,.../Ich,... – wobei in Frankreich ein Ich schon einmal der ganze Staat war, im Englischen das Ich nur als „capital I“ existiert und im Deutschen sich das Ich zuletzt zwischen Es und Über-Ich als Ego zurechtfinden darf/soll/muss. Aber das war alles vor der Zeit der Selfies, vor Facebook & Co., d.h. vor der Möglichkeit und tatsächlichen Praxis der permanenten “Aufgeregtheit um das eigene Selbst” (Pressetext ii), im Sinn von dessen Generierung, Präsentation und Dokumentation. Auf dieser Spur, dieser zeitgeistigen Beobachtung bewegten sich Biennaledirektorin Tereza Kotyk und Kuratorin Franziska Heubacher bei der Auswahl der Arbeiten. Nicht ganz so explizit wie es theoretisch problematisiert wird, immerhin ist auch Pipilotti Rist dem Video “Pamela” aus 1997 vertreten. Eine Stewardess - mit ihrem geschlungenen Tuch am Käppi das europäisierte Outfit von Emirates – persifliert die rituellen Sicherheitsanweisungen beim Start und das Servieren radikal, indem sie devoten Passagieren ihren Schuh zum Kuß entgegenhebt. Off-Stimme: “… Bienvenue a bord de notre vol a destination - to nowhere … to you … deep inside. (…) Die Liebe ist unklar, darum bleiben Sie bitte angeschnallt (...) We are on the way to find you… So please forget who you are… Nous vous remercions de choisir, choisir, choisir…” Das Zelt für “Obludarium” der Forman Brothers wurde eigens im Großen Burghof der Hofburg aufgestellt und sorgte an sich für Aufsehen, und erst recht die phantastisch-freakigen Varieté-Szenen der mehrfachen Aufführungen. Matt Stokes bespielte zwei Orte mit seinen Video-Dokumenten eventbasierter Subkulturen. Sie hätten diametraler nicht sein können: im Musikpavillon des Hofgarten optimal eingepasst die 6-Kanal-Video-Ton-Installation “Cantata Profana” (2010). Sechs Grindcore Sänger geben in Extreme-Metal-Manier ihr Bestes/Äußerstes – das spaltet die Gemüter von total begeistert bis geht’s noch? - Für “Long After Tonight” (2005) wurde der Soaproom zur Black Box umfunktioniert. Das Video selbst entführt in eine Ordenskirche in Dundee, in der in den 1970er Jahren die Northern Soul-Szene ihre Tanzevents zelebrierte. Hier formt die Musik die Iche, bewegt sie, inspiriert zu verspielten oder steppenden Schritten, zu Pirouetten, Floordance. Körper in Federspannung, 50ies Röcke schwingen weit aus zu den Klängen von Honey Townsend’s The World Again aus 1966, eine Art One-Hit-Wonder. – Es hat Jahrhunderte gedauert, bis in Kirchen wieder getanzt wird, diesmal ohne Labyrinth, sondern völlig frei. Und nicht Gott sieht zu, sondern die Kamera. Weitere KünstlerInnen, die während der Innsbruck International Biennale zu entdecken bzw. wiederzusehen waren: Catherine Bertola, Jacob Cartwright & Nick Jordan, Rachel Goodyear, Muntean/Rosenblum, Linda Fregni Nagler, Lois Weinberger. www.innsbruckinternational.at 10. – 20. 3. 2016
Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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