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Ich bin hier - Von Rembrandt zum Selfie: Unart Selfie

Es gibt innerhalb der Kunstgeschichte kein interessanteres Sujet als jenes des Selbstprotraits. Waren die Bildnisse anderer über Jahrhunderte weniger auf Individualität oder gar Innerlichkeiten angelegt als auf einen wiedererkennbaren Typus, der meist schlicht der Repräsentation diente, so bot das eigene Konterfei stets um einiges mehr. Denn wo ließe sich durch die Oberfläche des Scheins besser auf das Sein blicken, als bei jener Person, sie man am besten kennt und der man meisten zutrauen kann, sich selbst. Für Rembrandt beispielsweise war sein Antlitz ein Künstlerleben lang Experimentierfeld und Ort der Selbstbefragung und bis in die Gegenwart hinein begleitet die Künstlerschaft das ewige Streben, das „Selbst“ des Inneren mit dem Abbild der äußeren Erscheinung zur Deckung zu bringen oder hierfür entsprechende Stellvertreter zu finden. Nach wie vor geht es um Inszenierung, Repräsentation oder Befragung des Selbst, doch reicht eine in Szene gesetzte eigene Visage wirklich aus, um Selbstportrait zu sein? „Ich bin hier! Von Rembrandt zum Selfie“ nennt sich eine Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe, die in leicht veränderter Form ebenso im Musée des Beaux-Arts in Lyon und den National Galleries of Scotland in Edinburgh Station macht. Das „trinationale Kunstereignis“, wie es im schönsten Eventjargon angepriesen wird, ist Teil des Programmes „Kreatives Europa“ der Exekutivagentur Bildung, Audivisuelles und Kultur der Europäischen Kommission, die das Ganze großzügig unterstützt hat. Und womöglich beginnt genau hier das Problem. Drei Häuser verschiedener Länder beschließen eine gemeinsame Ausstellung aus eigenen Beständen, man einigt sich auf ein eher allgemeines Thema und stößt dabei konzeptionell auf massive Grenzen des Verfügbaren. In Karlsruhe scheint es mit dem Audiovisuellen dann auch nicht ganz so geklappt zu haben, denn für zentrale Arbeiten der Schau ist das ZKM als zusätzlicher Partner noch hinzugekommen. Freilich unter den 140 Werken von 100 Künstlern sind ganz fabelhafte Werke wie beispielsweise Oskar Kokoschkas „Selbstportrait als entarteter Künstler“ (1937) und es ergeben sich erstaunliche Konstellationen wie ein jugendliches Selbstbildnis von Anselm Feuerbach (1851/52) mit einem von Robert Mapplethorpe aus dem Jahre 1982 oder schlicht gelungene wie jene Doppelbildnisse von den Brüdern Franz Xaver und Hermann Winterhalter (1840) und Gustave Courbets „Die Liebenen auf dem Land“ (1844). Doch irgendwie ergibt das alles wenig Sinn und erscheint dadurch völlig beliebig. „Unsere Präsentation gleicht einer eigenwilligen Versuchsanordnung, die den Besucher animieren soll, die eingeübten Sehpfade zu verlassen“, lautet es von Seiten der Kuratoren die eigene konzeptionelle Skepsis zu einer kuratorischen Tugend machend. Zu guter Letzt kommt dann noch der Bezug auf das Selfie hinzu, jene Unsitte, sich jederzeit und allenortes fotografisch zu verewigen und das Ergebnis über die sozialen Medien weiterzuverbreiten. Im Kulturbetrieb ist das momentan offensichtlich der letzte Marketingschrei. Die Referenz in der Karlsruhe liefert Ai Weiwei. In der Tat gehörte dieser zu den ersten Künstlern, bei dem Selfies zum Einsatz kommen. Allerdings sind sie weniger gedacht, um wie hier zu musealen Ehren zu kommen, als dass sie dem kritischen Geist eine Art Lebensversicherung darstellen. Wem tausendfach gefolgt wird, der verschwindet nicht ganz so leicht unbemerkt. Nein, Selfies üben keine „künstlerische Faszination“ aus, wie die Kuratoren das nahe legen, auch ermöglichen derlei Ausstellungen, bei denen am Anfang und am Ende des Parcours der Besucher sein Konterfei zur weiteren Nutzung innerhalb der Ausstellung freigibt, nicht wirklich „Erfahrungen mit künstlerischen Selbstdarstellungen“. Und überhaupt sollte man sich für ein Selfieverbot in Museen aussprechen.
Mehr Texte von Daniela Gregori

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Ich bin hier - Von Rembrandt zum Selfie
31.10.2015 - 31.01.2016

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
76133 Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6
Tel: +49 721 926 33 59, Fax: +49 721 926 67 88
Email: info@kunsthalle-karlsruhe.de
http://www.kunsthalle-karlsruhe.de
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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