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Ausstellungen im Rheinland. Drei Kurzkritiken

Der Schatten der Avantgarde im Folkwang Museum Essen Vergessene dem Vergessen zu entreißen heißt heutzutage offene Türen einrennen. Meistens sind die Vergessenen weiblich, stammen aus dem unmittelbaren Osten oder dem weiter entfernten Süden und haben eine andere Sexualität als die Heteros. Was das Essener Folkwang Museum hingegen betreibt gilt nachgerade den Dead White Males. Niemand wird bezweifeln, dass neben dem Zugpferd Henri Rousseau, der die PR-Arbeit der Schau anführt, auch das übrige Dutzend, bis auf eine Ausnahme allesamt maskulin, das Zeug zur Etablierung besitzt. Allesamt arbeiten sie im Grenzbereich dessen, was die Österreicher „zustandsgebunden“ nennen, das heißt ihre Bilder sind eher voll, eher figurativ und eher bunt. Ganz unbekannt war vorher schon niemand, ihre Namen sind Erich Bödeker, Morris Hirschfeld oder gar Miroslav Tichy, der als fotografischer Flaneur längst alle Wege des Mainstream beschreitet. Der Kanon wartet, allzeit bereit, und sollte er sich zieren, so sorgt das Kanonischste der Schau bestimmt dafür, dass die Aufnahme stattfindet. Das Kanonischste der Schau ist einer der beiden Kuratoren: Kasper König (eine Anmerkung noch für alle Geografen: Essen liegt tatsächlich im Rheinland, gerade noch). www.museum-folkwang.de Morris Hirshfield (1872-1946), Mädchen mit Tauben, 1942, Öl auf Leinwand, 76,1 x 101,7 cm, The Sidney and Harriet Janis Collection, The Museum of Modern Art, New York © Bildrecht Wien. 2015, © Foto: SCALA, Florence, 2015 Agnes Martin im K20 in Düsseldorf Als die Grande Dame der Serialität 2004 mit über 90 Jahren starb, sah man allenthalben die Spätberufene. Tatsächlich war Agnes Martin über fünfzig, als sie mit Minimal zu ihrem Jargon fand: den zurückhaltenden, streng dem Gitter folgenden, der Systematik ergebenen, aber mit ihren Bleistiftstrichen und dem lasierend aufgetragenen Acryl eine Atmosphäre der Luftigkeit bewahrenden Tafeln. Dabei hat sie von Anfang an die Kunstlaufbahn verfolgt, und auch wenn sie aus der Provinz kam, vollzog sich ihre Ausbildung in New York. Zwischenzeitlich allerdings geriet sie in eine mentale Verfassung, die die Österreicher „zustandsgebunden“ nennen, und womöglich folgen die Ruhe, Gelassenheit und Nonchalance ihrer Tafeln ebenso dem therapeutischen Effekt, wie die Rasterung und die unerbittliche Logik der Permutationen auf einen Überschuss an Bändigung hinweisen. All das lässt sich in der wunderbaren, nicht weniger als eine Retrospektive darstellenden Gesamtschau im Düsseldorfer K20 nachvollziehen, ein Zeitraffer auch der amerikanischen Malerei, wie sie sich vom Surrealismus zum Modernismus zum Non-Relationalismus vorarbeitete. www.kunstsammlung.de Agnes Martin, Untitled #5, 1998, Acryl und Grafit auf Leinwand, 152,4 x 152,4 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, © Bildrecht, Wien 2015, Foto: Foto: Ellen Page Wilson, courtesy Pace Gallery © Kunstsammlung NRW Hanne Darboven in der Bonner Bundeskunsthalle Dass es vom Lächerlichen zum Erhabenen nur ein kurzer Schritt ist, weiß die Theorie des Sublimen längst. Bestätigt wird die alte Weisheit diesmal in der Bonner Bundeskunsthalle, wo sie Hanne Darboven geben (ein weiterer Teil der Gesamtschau ist parallel dazu im Münchner Haus der Kunst ausgebreitet). Darbovens unermüdlich, unerbittlich und unendlich mit Schrift gefüllte Blätter, jedes einzelne einzeln gerahmt, addieren sich hundertfach, tausendfach die Wände entlang, neben und übereinander bis unter die Decke, und die ist in Bonn ziemlich weit oben. Dass man da nichts mehr erkennen kann, gehört zum Quersummenspiel, denn die Rechnereien der Künstlerin, die an eine Psyche gemahnen, die die Österreicher „zustandsgebunden“ nennen, kann man sich als kleiner einzelner auch von unten her zusammenreimen. Die Obsessivität der Reihen, bei denen die Serialtiät in Solipsismus umschlägt, ist bestenfalls einschüchternd, die Arrangements hingegen schlagen um ins Faszinierende. Hanne Darboven ist eine Meisterin der Theatralik, und wenn man sie bisher mit dem orthodoxen Conceptual, mit Sol Lewitt vor allem, zusammendachte, mag man heute eher an Jenny Holzer denken: Vergiss die Texte, achte auf ihre Platzierung. www.bundeskunsthalle.de Hanne Darboven, Ausstellungsansicht Weltansichten 00–99, 1975–1980, Foto: Maximilian Geuter, 2015, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Bildrecht, Wien 2015
Mehr Texte von Rainer Metzger

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