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Standpunkt beziehen statt merkantilem Opportunismus

Volker Diehl kennt das Galeriengeschäft seit 32 Jahren mit allen Höhen und Tiefen. Jetzt ist er froh, auch einmal nein zu einem Geschäft sagen zu können. artmagazine.cc: Herr Diehl, Sie haben mit Ihren Galerien mehrere Höhen und Tiefen des Kunstmarkts mitgemacht. Wo stehen Sie jetzt gerade? Volker Diehl: Nach einigen steilen Höhen und steil abfallenden Tiefen in meinem 32-jährigen Galeristenleben, habe ich mich „gesundgeschrumpft“, meine „Nische“ gefunden, mich dort „komfortabel“ eingerichtet, und den etwas weiseren Lebensabschnitt eingeleitet, der mir sehr gut tut. Ja, sehr gut sogar. Ich muss zum Glück niemandem mehr hinterherlaufen und werde auch von niemanden getrieben, so dass ich ehrlich sagen kann: Ich genieße das Leben mit Kunst wieder in vollen Zügen. Nun habe ich mich unabhängig von Messen gemacht, brauche auch keinen Zweit- oder Drittstandort in New York, London oder - wie gerade alle meinen - in Los Angeles. Ich lege großen Wert auf Lebensqualität verknüpft mit mir gewogenen sympathischen, professionellen und großzügigen Menschen, Partnern und Künstlern und guten, ehrlichen Geschäften. Ich habe eine Menge sogenannter Sammler und Künstler etc. aus meiner Database gelöscht. Das ist ein wichtiger Akt, den man regelmäßig und von Zeit zu Zeit wiederholen sollte. Ich muss zum Glück keine Millionen verdienen, um meine Galerie zu betreiben. Kann auch mal NEIN zu einem Geschäft sagen. Und das ist eine hart erarbeitete Freiheit, die ich fast vollkommen verloren hatte, weil ich meinte, mit den großen Wölfen heulen zu müssen bzw. weil ich Projektionen von vermeintlichem Erfolg, Geld, Ruhm und Anerkennung hinterher gelaufen bin. Und dadurch all das fast vergessen hatte, warum ich mal angetreten bin in der Kunst. Ich habe mich wieder an das erinnert und darauf besonnen, was ich mit zwanzig Jahren ursprünglich wollte. Und das musste ich erst mühsam wieder freischaufeln in mir. Das ist ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Macht aber großen Spaß. Wie hat sich der Markt denn verändert in diesen über drei Jahrzehnten? Was sind die entscheidenden Unterschiede und Entwicklungen? Als wir jung waren und Ende der 1970er begannen, gab es noch so etwas wie Sex, Drugs and Rock‘n Roll. Wir waren noch Bohemiens und hatten so einen wunderbaren romantisch anarchistischen Wirrwarr in unseren Köpfen. Kunst und Galerie war noch eine Lebenshaltung gespickt mit Ideologien, für die es sich lohnte zu kämpfen und Standpunkt zu beziehen. Heute arbeitet doch jedes Milliardärssöhnchen und Töchterchen in einer Galerie oder einem Auktionshaus. Das ist halt super schick geworden. Aber man läuft fast ausschließlich dem Geld hinterher und einer diffusen Vorstellung von Ruhm und Glamour. Alles schön garniert mit Partys und Events. Als ich 1983 das erste Mal Leo Castelli besuchte, hatte er vielleicht zwei, drei Mitarbeiter bei sich in 420 West Broadway. Und da war er schon eine Legende. Mein Gott, waren er und Thomas Amann noch von einer Eleganz und einem Stil und einer unbeirrbaren Geradlinigkeit. In den letzten Jahren haben die Galerien Kartelle gebildet, um Querdenker und Nonkonformisten bei den Messen erst gar nicht zuzulassen. Oder sie blocken auch gern mal einen ihnen gefährlich werdenden Kollegen. Dann laufen sie als Geschmackspolizei-Jury herum und drangsalieren die ausstellenden Galeristen noch, ob sie den Stand auch schön korrekt gehängt haben. Und die Kollegen und Künstler liefern maßgefertigte Kunstwerke und Ausstellungen am laufenden Band in einer Pünktlichkeit ab, dass mir vor Schwindel eigentlich speiübel wird. Und gern nimmt man in China, Russland und arabischen Ländern Rücksicht auf religiöse, politische und sexuelle Befindlichkeiten, akzeptiert bereitwillig Zensur, nur um noch ein paar mehr Dollar mitnehmen zu können. Merkantiler Opportunismus. Und die Liste könnte ich noch lange weiterführen. Damals dachten wir, dass möglichst viele Menschen sich für Kunst interessieren sollten. Dass Kunst erfolgreicher sein sollte, als sie es war. Da haben wir aber den falschen Geist aus der Flasche gelassen. Nun müssen wir damit leben, dass die Spießer und ein perfides, auf Gewinn orientiertes System fast die gesamte Kunstwelt übernommen haben. Ein trauriges Resümee für mich nach über 30 Jahren. Da tröstet es wenig, wenn man da noch den ein oder anderen wunderbaren Kollegen zum Freund und Mitkämpfer hat. Mit den wenigen Ausnahmen lässt sich wenig ausrichten. Das klingt ganz schön ernüchtert. Entsteht denn unter diesen Umständen überhaupt noch spannende Kunst, und wenn ja, wo ist sie zu finden? Das Schöne ist doch, dass es spannende Kunst immer und in allen Zeiten zu entdecken gibt. Nur, wie geht man da am besten vor? Das hat sich besonders verändert, weil sich die Kunstwelt mindestens in zwei Welten aufgeteilt hat. Hier ist mein Rat, was man tun sollte: Ich würde mit einer Negativauslese beginnen. Was sollte man vielleicht erst einmal meiden? Auf jeden Fall die großen Kunstmessen, Blockbuster-Ausstellungen, -Galerien und -Künstler. Die Eröffnungs-Poolparty samt der eventgeilen Kunstszene, die Kunst nur als willkommenen Anlass sieht, um ihr sonst hohles und langweiliges Leben für einen Moment vergessen zu können. Eben all jene, die auf Gewinn und Spekulation setzen, die pseudoprovokative-, Hüpfburgen- und Bespaßungs-Kunst im großen Stil zusammen mit den Medien propagieren. Da kann man dann in Spinnennetzen oben im Museumsraum herum klettern. Man sieht den Künstler tagelang waschtrommelartig sich im Kreise drehen, kann auf Rutschen Museumsräume verlassen, oder mit Rentieren übernachten, darf auf Tischtennisplatten sein Können zeigen, sieht auf IMAX-großen Leinwänden eher belanglose Filmchen, muss sich durch Nebelräume arbeiten usw. usw. Da geht man besser zu einer guten Sportveranstaltung, auf den Rummelplatz oder in den Cirque du Soleil. Nein, mein Rat ist eigentlich ganz einfach, kostet kein Geld und ist sehr effektiv: Man besucht so viele kleine und mittlere Galerien oder Non-Profit-Räume wie möglich und am besten regelmäßig. Weiters unterhält man sich vielleicht sogar etwas länger mit einem der Galeristen/innen - was leider fast gar nicht mehr passiert - über Kunst und Künstler. Man wird erstaunt sein, was es alles zu entdecken gibt. Und das Internet - gibt es da irgendetwas zu entdecken? Na klar. Eine Menge sogar. Aber man muss es klug einsetzen: Zum Recherchieren von Künstlerinfos und Preisen oder aber auch, um Bücher zu finden und zu bestellen; das klappt sogar ganz wunderbar. In den 80er Jahren musste man einen Suchzettel beim Antiquariat seines Vertrauens ausfüllen, wenn man ein Buch gesucht hat. Wenn man Glück hatte, gab es eine Antwort nach Wochen, manchmal Monaten. Heute kann ich innerhalb von Minuten bei den entsprechenden Webseiten Millionen von Angeboten abrufen. Und mir dann sogar noch das preiswerteste heraus suchen. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen nachts ist, Bücher und alte Kataloge zu bestellen. Man kann sicherlich auch bei den sozialen Netzwerken und Kunstwebseiten Künstler entdecken und kontaktieren. Aber nur mit entsprechender Skepsis, Recherche und Überprüfung in der realen analogen Welt. Der Studio- und Ausstellungsbesuch wird zum Glück durchs Internet nie ersetzt werden können. Man hat ja schließlich fünf Sinne. Und die sollte man bitte auch alle einsetzen. Ich kann aber noch eine schöne Geschichte erzählen. Vor über einem Jahr habe ich ein Bild aus den 1970er Jahren eines berühmten amerikanischen Künstlers aus einer privaten Sammlung erwerben können. Anfang dieses Jahres habe ich dann einen jungen ukrainischen Künstler in Kiew besucht. Der lebt als Buddhist von 50 USD im Monat, er meditiert auf dem Bett und malt sehr reduzierte, oft monochrome Bilder. Über Facebook ist er seit Jahren mit anderen Künstlern weltweit „befreundet“. Eines Tages, vor ca. vier Jahren, bittet obiger amerikanischer Künstler, in New Mexico lebend, ihn darum, eines seiner Bilder, das er auf Facebook gesehen hat, kopieren zu dürfen. Daraus entsteht ein Dialog, in dem beide Künstler auf jeweilige Facebook-Abbildungen antworten und sich die Originale zusenden. Ist das nicht großartig? Meine Überraschung kann man sich vielleicht gut vorstellen. Ich war natürlich sprachlos. Nun plane ich im Moment eine Ausstellung mit den Arbeiten aus dieser Geschichte für 2016. -- DIEHL Niebuhrstrasse 2, 10629 Berlin Tel: +49 30 22 48 79 22 info@galerievolkerdiehl.com www.galerievolkerdiehl.com DIEHL CUBE Emser Straße 43, 10719 Berlin ef@galerievolkerdiehl.com www.diehl-cube.com
Mehr Texte von Stefan Kobel

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