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abc art berlin contemporary: Raum geschrumpft, Qualität gewonnen

Mit zwei Hallen wartet die diesjährige 8. abc auf, die ergänzt durch eine Sonderschau mit Leihgaben aus Privatsammlungen in der 3. Halle ihr Schrumpfen ein wenig verschleiert. Der Übersichtlichkeit kommt dieser Umstand ebenso entgegen, wie die integrierte Raumstruktur, in der sich kreuzende Wände eine Folge zumeist quadratischer Räume bilden, die komplett oder in Teilen von den Galerien bespielt werden. Etwa 105 Galerien aus 17 Ländern legen den Fokus erneut auf zeitgenössische Positionen. Wie immer dominieren die Berliner Kunsthändler, aber auch Wien und Österreich sind mit einer Reihe von Beiträgen stark vertreten. Spezifische Trends sind nicht ablesbar, weder inhaltlich noch medial: die abc zeigt sich vielgestaltig, ohne durch allzu laute, Aufmerksamkeit heischende Positionen aufzufallen. Immerhin, Ai Weiwei ist mit dabei und dürfte in kaum einer Rezension unerwähnt bleiben. Simon Starlings von der Decke herabhängendes Pflanzenbett im Eingangsbereich liefert für die Situation ein schönes Bild: Die Dinge sind in dieser Zeit schwer absehbarer Entwicklungen in globaler Wirtschaft und Weltpolitik in der Schwebe. Nur an wenigen Stellen dringen aktuelle Themen der realen Welt in die Messehallen ein. Vor allem der Fahnenmast der aus Afghanistan stammenden Künstlerin Jeanno Gaussi steht für Aktualität. Ausgangspunkt war die Ermordung eines Flüchtlings aus Eritrea durch einen Landsmann in Dresden, Anfang 2015, der zu unerfreulichen Kommentaren auf Facebook führte, die als Zitate in den Fahnenmast graviert sind. "Save our Souls" heißt es auf der Flagge, die als Blaudruck realisiert wurde, den ein schlesischer Flüchtling nach dem 2. Weltkrieg mit nach Sachsen brachte, gesetzt in einer Schrift, die als "Jüdenschrift" von den Nationalsozialisten diffamiert wurde. Auch Alice Creischers Puppentheater bei KOW ist überraschend aktuell. Ursprünglich für die Expo 2000 in Hannover entstanden, widmet sich ihre ernste Arbeit im verspielten Gewand dem Thema der Vergesellschaftung von Volksvermögen. Was 1848 bei Prudhon in Frankreich als Aneignung des Kapitals gedacht war, pervertierte ein Teil der deutschen Wirtschaft im Dritten Reich, als Übertragung ihrer Schulden auf den deutschen Staat. Für den aktuellen Bezug reicht das Stichwort "Bankenrettung" nach 2008. Société, nur einige Ecken weiter, wählt einen anderen Weg der Kritik, indem ihr Stand als Shop ausgelegt ist, in dem für kleines Geld Editionen ihrer Künstler zu erwerben sind. Obwohl die Zwänge früherer kuratorischer Konzeptionen fehlen, wirken viele einander benachbarte Beiträge mit Bedacht positioniert. So zeigt Krobath variantenreiche Geometrie Esther Stockers in Schwarz-Weiß neben den figurativen Grisaillen Iris Schomakers bei Thomas Schulte. Ebenfalls benachbart sind die Installationen von Marlena Kudlicka bei Zak|Branicka sowie Tillmann Terbuyken bei KM. Beide widmen sich der virulenten Display-Thematik, mit der die Präsentation von Artefakten in unterschiedlichen Kontexten ausgelotet wird. Das gerade von hier aus die Sammlerausstellung "Proximities and Desires" betreten wird, die unter anderem mit Werken Heimo Zobernigs aus der Sammlung Haubrok glänzt und sehr gute Werke von Sturtevant und Hannah Wilke aus der Julia Stoschek Collection beinhaltet, dürfte kein Zufall sein. Zu den beeindruckendsten Werken der Messe gehören die Agglomerationen dunkler Materie Peter Buggenhouts bei Konrad Fischer und die Teppichbilder von Tobias Hantmann bei Bernd Kugler. Anders als sonst zeigt Buggenhout seine Skulpturen diesmal hinter Glas, wodurch sie ein wenig an Unmittelbarkeit einbüßen. Hantmann überzeugt nachhaltig durch seine virtuose Beherrschung des ungewöhnlichen Materials, auf das er seine Bildmotive überträgt. Schöne Entdeckungen bieten Aanant & Zoo mit den Spurenbildern Max Schaffers und Chert mit den kleinen Arbeiten von Ruth Wolf-Rehfeldt, die unter Verwendung von Schreibmaschinen entstanden. Zu den großen Präsentationen gehören Räume mit neuen Werken von Jorinde Voigt bei König, Yngve Holen bei Neu oder die trashigen Bilder und Skulpturen von Ryan Trecartin und Lizzie Fitch bei Sprüth Magers. Die gut besuchte, aber keineswegs überfüllte Vernissage zeigte ein entspanntes Publikum, das bis zum abendlichen Gewitter auch den vorgelagerten Hof zahlreich bevölkerte. Ob sich dieses durchaus sehenswerte Schaufenster des Berliner Kunstmarkts dann auch wirklich in eine Verkaufsschau verwandelt, wird erst das kommende Wochenende zeigen. Nach wie vor das alte Lied: es braucht noch mehr Sammler in der Stadt!
Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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abc art berlin contemporary
17 - 20.09.2015

Station Berlin
10963 Berlin, Luckenwalder Strasse 4-6
http://artberlinfair.com/


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