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Edvard Munch - Liebe, Tod und Einsamkeit: Du sollst dein eigenes Leben schreiben

Eine Biografie Edvard Munchs lässt sich wohl am besten mit seinen Werken beschreiben. Mit mehr als 750 Motiven und geschätzten 30.000 Blättern nimmt das druckgrafische Werk einen hohen Stellenwert für den Künstler ein. Als Edvard Munch 1863 in Løten geboren wurde, war Norwegen noch Teil der Union mit Schweden, der Vater als Augenarzt tätig und die Familienverhältnisse waren gutbürgerlich. Das Ausnahmetalent war seit frühester Kindheit mit Krankheit, Sterben und Trauer konfrontiert. Seine Mutter starb an Tuberkulose, als er fünf war; mit dreizehn Jahren erkrankte er selbst an dieser schweren Krankheit. Er beschrieb es als „eine neue Hustenattacke – ein neues Taschentuch – Blut färbte den ganzen Stoff – Jesus hilf mir, ich sterbe – Ich muss nicht jetzt sterben.“ Ein Jahr darauf verlor er seine fünfzehnjährige Schwester. Das kranke Kind (1896/97) zeigt seine sterbende Schwester Sophie. „Es war Abend – Sophie lag rot und heiß im Bett, die Augen glänzten und suchten unruhig im Zimmer umher, sie fantasierte – Lieber süßer Edvard, nimm dies von mir, es tut so weh! Willst du nicht? – Sie sah ihn flehend an. – Siehst du den Kopf dort? Das ist der Tod“ (Edvard Munch). Mit Abschluß der Schule verließ der begabte Knabe die Technische Hochschule und besuchte die Königliche Zeichenschule in Kristiania (dem späteren Oslo), wo er sich dem Kreis der Kristiania-Boheme um den Dichter und Anarchisten Hans Jæger anschloss. In einer verbotenen Programmschrift von 1885 verurteilte Jæger das bürgerliche Leben ebenso wie jeden Nationalismus und entwarf eine Utopie des freien gesellschaftlichen Zusammenlebens. Jæegers ästhetische Anweisung „Du sollst dein eigenes Leben schreiben“ wurde für Munch zum Anspruch für seine Kunst – Bildnisse als scharfe Analysen der Innenwelt des Individuums. Munch hielt seine Erlebnisse und Gedanken auch in Gedichten und Prosa fest. Die Naturalisten Christian Krohg und Frits Thaulow wurden zu Lehrern Munchs. Ab 1885 folgen Parisaufenthalte, wo Edvard Munch auch August Strindberg traf, der zu einem engen Wegbegleiter wurde. Die bildnerischen Mittel der Deformierung, die Sichtbarmachung der Technik sowie die dramaturgische Verknappung der Motive lernte Munch in Paris von Vincent van Gogh, Paul Gauguin und nicht zuletzt von Henri de Toulouse-Lautrec, der ihn für die Lithografie begeisterte. Anfänglich gaben die Drucke von Munch spiegelbildliche Fassungen von bereits bekannten Sujets und Gemälden wieder, im Laufe der Zeit variierte und bearbeitete er allerdings die Blätter und konnte so Stimmungen einfangen und auch bewusst durch diese Überarbeitungen manipulieren. Als der Künstler 1889 die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Vaters erhielt, stürzte er in eine tiefe psychische Krise und zog nach Saint-Cloud bei Paris, wo ihn der dänische Dichter Emanuel Goldstein mit dem Symbolismus vertraut machte. Munch entwickelte die Idee, sein Werk als Lebensfries zu verstehen. Bilder und Symbolfiguren, die in ihrer Gesamtheit existenzielle Themen wie Liebe, Angst und Tod, Eifersucht und Trennung, Einsamkeit und Melancholie umfassten, sollten bildbestimmend werden. Er sollte bis an sein Lebensende an diesem Lebensfries arbeiten. Es war gerade jener Symbolismus, den die in Frankreich lebenden skandinavischen Künstler mit Perfektion darstellen konnten und der ihnen auch in Deutschland viel Erfolg bescherte. Munchs Ausstellung im Verein Berliner Künstler löste 1892 einen Skandal aus. Er wurde über Nacht berühmt und ließ sich sogar in Deutschland nieder. In den drei Jahren in Berlin sowie anschließend in Paris entstanden die ersten Radierungen, Farblithografien und Holzschnitte zu den zentralen Themen des Lebensfrieses. Zurück in Norwegen ging Edvard Munch 1898 mit Tulla Larsen, der Tochter eines wohlhabenden Weinhändlers, eine Liebesbeziehung ein. Munch weigerte sich standesgemäß zu heiraten. Während eines heftigen Streits löste sich ein Schuss aus dem Revolver und zerfetzte einen Finger der linken Hand des Künstlers. Oftmalige Auslandsaufenthalte folgten. Als Resultat seines langjährigen Alkoholismus und der traumatischen Erlebnisse der letzten Jahre erlitt Munch einen schweren Nervenzusammenbruch. Erst 1909 kehrte er dauerhaft nach Norwegen zurück, wo er in den folgenden Jahren mehrere Gutshäuser am Kristianiafjord erwirbt, darunter das Gut Ekely nahe Oslo. Es wurde sein letzter ständiger Wohnsitz. 1944 verstarb Edvard Munch an einer Lungenentzündung. In der von Dieter Buchhart kuratierten Schau in der Albertina Wien werden Exponate aus der bedeutendsten internationalen Privatsammlung von Druckgrafiken Edvard Munchs gezeigt. Wer dahinter steckt, wird allerdings nicht preisgegeben. Courtesy hält die Galleri K in Oslo. Die umfassende Kollektion beinhaltet zahlreiche Werkreihen und Varianten von Lithografien, Radierungen und Holzschnitten, die das Genie Edvard Munch veranschaulichen. Munchs druckgrafische und handkoloristische Experimente mit Farben, Formen und Inhalten betreffen alle Aspekte der Herstellung. Von seinem akzentuierten Einsatz der Holzmaserung, der Anfertigung des Motivs auf der Druckplatte über die Wahl des Papiers, den Farbauftrag, den Druckprozess und die Kombination verschiedener Drucktechniken bis hin zur Nachbearbeitung des Abdrucks – alle Arbeitsschritte weisen innovative Ansätze auf. Munch zählt zu den einflussreichsten Protagonisten der Moderne. Sein Schaffen nimmt eine Sattelstellung zwischen Symbolismus und Expressionismus ein. Als Vorläufer und Wegbereiter des Expressionismus beschrieb er eindringlich und schonungslos die Vergänglichkeit und das Verschwinden des Individuums im Zeitalter der Industrialisierung. Seine Werke entstammen gleichzeitig zutiefst subjektiven Erfahrungen – zahlreiche Schicksalsschläge sensibilisieren Munch bereits früh für die Themen Krankheit, Angst und Tod und sind die Grundlage für die beispiellose Ikonografie seines Œuvres, das bis heute nichts an Faszination und Brisanz eingebüßt hat. Insbesondere der Holzschnitt gehört zu den absoluten Höhepunkten seines Schaffens. Mit der Einbeziehung der Holzmaserung in den vielen verschiedenen Farbfassungen zeigte er neue Ausdrucksmöglichkeiten. Er legte die Maserung des Holzes frei, druckte diese mit und experimentierte mit der unterschiedlichen Wirkung von kalten und warmen Farben auf natürlich strukturierten Flächen. Die frühen Abzüge sind meist einfarbig und wurden erst später händisch koloriert. Eine Datierung der Drucke ist kaum möglich, da Munch oft im Abstand von vielen Jahren neue Varianten von demselben Holzstock druckte, sie überarbeitete und keine Auflagenhöhen definierte. Auf eine Nummerierung der Abzüge verzichtete er weitgehend. Experimentierlust und die sukzessive Annäherung an ein Thema in unterschiedlichsten Techniken prägten seine Kunst.

Mehr Texte von Iris Stöckl

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Edvard Munch - Liebe, Tod und Einsamkeit
25.09.2015 - 24.01.2016

Albertina
1010 Wien, Albertinaplatz 1
Tel: +43 1 534 83 -0, Fax: +43 1 533 76 97
Email: info@albertina.at
http://www.albertina.at
Öffnungszeiten: Tägl. 10-18h, Mi 10-21 h


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