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Hofreitschule

“Der Unterschied zwischen Gewalt und Macht”, so führt Elias Canetti in seiner epochalen Studie "Masse und Macht" ein durchaus ungewöhnliches Beispiel an, "läßt sich auf sehr einfache Weise darstellen, nämlich am Verhältnis zwischen Katze und Maus. Die Maus, einmal gefangen, ist in der Gewalt der Katze... Aber sobald sie mit ihr zu spielen beginnt, kommt etwas Neues hinzu. Sie läßt sie los und erlaubt ihr, ein Stück weiterzulaufen. Kaum hat die Maus ihr den Rücken gekehrt und läuft, ist sie nicht mehr in ihrer Gewalt. Wohl aber steht es in der Macht der Katze, sie sich zurückzuholen." Man versteht unmittelbar, was Canetti sagen will, und doch erscheint der Vergleich aus der Tierwelt prekär. Denn weder der Katze noch der Maus steht ein anderes Verhalten zu Gebote, und die Konstellation des Fressens und Gefressenwerdens ist ohne Alternative. Tragfähiger wird die Brücke zu den Tieren, beobachtet man sie in Interaktion mit den Menschen. Vielleicht ist Dressur überhaupt das beste Beispiel für eine Machtausübung, die auf die Unmittelbarkeit der Gewalt vollständig verzichtet. Mit subtiler Autorität werden die Tiere verleitet, zur Kenntlichkeit zu bringen, was sie ohnedies können. Was sie zwar können, aber ohne den Aspekt der Formalisierung, Systematisierung und Forcierung, in dem sich das Humane geltend macht. Dressur ist Ästhetisierung. In dieser Künstlichkeit steht sie der Natur gegenüber. Ohne die Apparaturen der Disziplinierung wäre sie unmöglich. Die Spanische Hofreitschule in Wien zeigt weltberühmt, was möglich ist. Seit 1565 existiert dieses Exerzitium der Pferdeführung, 1681 wurde sie durch kaiserlichen Erlass als Institution eingesetzt und bringt ihr Selbstbewusstsein seit 1735 in einem prunkenden Ballsall für Ross und Reiter in der Hofburg zum Ausdruck. An diesem Wochenende feiert sie mit Pomp, Umständen und Dresscode ihren 450. Geburtstag. Bei den Proben zur Jubiläumsgala am 26. Juni am Heldenplatz in Wien. Foto: Instagram Hier setzt man der Fauna so etwas wie Verhaltensnormen. Piaffe, Passage und Pirouette, Pesade, Levade, Kapriole und Courbette werden gelehrt, und die Pferde erfüllen für den hochkonzentrierten Moment die Menschheitsträume von der stillgestellten Bewegung und der aufgehobenen Schwerkraft. Wenn Vorder- und Hinterhand nur einen Hufabdruck brauchen, wenn der Oberkörper sich exakt im 45-Grad-Winkel aufrichtet oder der Hinter- zum Zirkelfuß der Drehbewegung wird, dann verfällt man der Leidenschaft für die Geometrie. Wie so viele Kostbarkeiten hat auch die Eleganz und Raffinesse dieser Eliteausbildung den Krieg zum Vater. Und wie so oft, wenn die Phänomene Gegenstand des Artifiziellen werden, ist auch die Spanische Hofreitschule Ergebnis eines Anachronismus. Was die Pferde konnten, war nicht mehr nötig auf dem Schlachtfeld. Die Tiere hatten es vermocht, sich auf die Hinterbeine stellen und damit eine Art Schild abzugeben. Genauso waren sie in der Lage, sich vehement um die eigene Achse zu drehen und so aus der Flucht heraus blitzschnell eine Offensive zu ermöglichen. Oder sie schlugen mit den Hufen aus, und diese Bewegung war brauchbar als Schlagwaffe gegen Fußsoldaten. Diese Fähigkeiten waren mit den veränderten Heeresformationen, mit der Artillerie vor allem, sekundär geworden. Doch sie feierten Wiederauferstehung als höheres Amüsement für eine ihrerseits höfisch gewordene Kaste ehemaliger Krieger. Die natürlichen Begabungen, die sich einst trefflich hatten militärisch nutzen lassen, kristallierten sich zu Techniken des Kapriziösen. Sie wurden schrotlose Kunst.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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