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Francesca Woodman und Birgit Jürgenssen Werke aus der Sammlung Verbund Wien: Personal Stories

Zu Lebzeiten wünschte sich Birgit Jürgenssen statt mit männlichen Kollegen, öfters mit Künstlerinnen ausgestellt zu werden. Seitdem die Wiener Sammlung Verbund eine ansehnliche Gruppe ihrer Werke erwarb, etwickelte Gabriele Schor, die Leiterin der Sammlung, eine rege Ausstellungstätigkeit mit Werken aus den eigenen Beständen. Derzeit wandert eine umfassende Schau quer durch Europa. „Feministische Avantgarde“ zeigt Arbeiten von 34 Künstlerinnen aus den 1970ern (2016 im mumok). Parallel zu dieser Makroperspektive gibt es Präsentationen, die paarweise künstlerische Positionen in Doppelausstellungen gegenüberstellen und vergleichen. Im Ganzen eine bemerkenswerte und beneidenswerte Strategie, die das „schwache Geschlecht“ samt einiger Neuentdeckungen nun endlich in den Mainstream rücken lässt. Zum ersten Mal – und das immerhin 12 Jahre nach ihrem frühen Tod – ist im Kunstverein Kunst Merano Arte in Südtirol die österreichische Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949-2003) mit einer Solopräsentation in Italien zu sehen. Gleichzeitig werden räumlich getrennt die Arbeiten der faszinierenden amerikanisch-italienischen Fotografin Francesca Woodman (1958-1981) gezeigt. Jürgenssens Zeichnung Emanzipation eröffnet ihre Präsentation und kann jenseits der Gender-Kontexte letztlich auch als Zeichen für die Ausstellungs- und Vermittlungspraxis gelesen werden, die sich mit Problemen der Interpretation weiblicher Identität und Ästhetik in einem emanzipatorischen Sinn auseinandersetzt und sie strukturell bereichert. Weil beide Künstlerinnen sich keinem orthodoxen Feminismus verpflichtet fühlten, werden sie als Pionierinnen des postfeministischen „Poetisch-Performativen“, Sinnlichen, Surrealen sowie der Ambivalenz zelebriert. Unverändert bleibt weiterhin die sozialkritische Beschäftigung mit dem weiblichen Körper und dem Selbst, die durch das Medium des Raums, der formalen Bildfindung und das in Szene gesetzte Erscheinen und Verschwinden umgesetzt wird. Die subjektiven (Gefühls-) Ambivalenzen zwischen Eindeutigem und Unscharfen jenseits bipolarer Gegensätze und Modelle (wie Raum/Körper, Man/Frau, Mensch/Tier, Akt/Stillleben, Figur/Schatten) sind bei beiden Künstlerinnen als ihre Stärke zu verorten. Bei Woodman betreffen sie vor allem ihre postkonstruktivistische Auffassung des Raums (am Beispiel ihres Studios an der Rhode Island School of Design) in all seiner Wandelbarkeit, wogegen Jürgenssens Inszenierungen des eigenen Ichs auf die Abhängigkeit vom Anderen und seiner Ambivalenz in Beziehungsverhältnissen verweisen. In mehreren Arbeiten scheinen die Körper beider Darstellerinnen mit ihrem häuslichen Umfeld oder ihnen zugeschriebenen sozialen Rollen restlos zu verschmelzen: Woodman vereint sich in der Serie house and space2 „gothic“ und göttlich alias geisterhaft mit einer Wand, einem kaputten Kamin oder einer zerrissenen Tapete, Jürgenssen hingegen mit einem Backofen, aus dem gebackenes Brot wie ein Phallus herausragt. Der Unterschied zwischen den beiden spannungsreichen Bildwelten ergibt sich gefühlt aus zwei unterschiedlichen Welten: jene der Träume eines amerikanischen Mädchens mit gespaltenem jüdisch-protestantischem Hintergrund und jene Ansichten einer im Nachkriegskatholizismus aufgewachsenen Frau, die etwas Mädchenhaftes behielt. Trotz des Altersunterschieds von zehn Jahren begann künstlerische Laufbahn beider in den 1970ern. Beide widmeten ihr Leben der Kunst. Woodman schafft ihr Oeuvre noch als Studentin. Es war eine höchst produktive Zeit bis zu ihrem Freitod im Jahre 1981. Mit 13 Jahren fertigt sie ihr erstes leicht verschwommenes Selbstbildnis an, in dem das Kabel des Selbstauslösers als Nabelschnur der Kamera fungiert. Dieser Fotografie folgen in der Ausstellung andere „Akte“ zum Teil in gedrehter Haltung mit abgeschnittenem Kopf oder durch Haare verdecktem Gesicht. Ein Jahr später, 1973, verbirgt Jürgenssen ihr Antlitz hinter einem Stück Fell (Selbst mit Fellchen) und verweist mit dieser Maske auf Vergänglichkeit und die eigene zukünftige Abwesenheit (E. Bronfen). Das Porträt mit der Tiermaske, die nicht nur verdecken soll, sondern auch etwas Wesentliches darüber und darunter offenbart, lässt sich auch als eine Parodie der Idee des Natürlichen und Ursprünglichen verstehen. Die in der Ausstellung in Meran gezeigten Fotografien von Francesca Woodman sind alle schwarz-weiß in kleinem Format einheitlich und ikonenhaft quadratisch. Stilistisch breit divergierende Schwarzweiß– und Farbfotografien, Zeichnungen und morbid-extravagante Schuhwerke der Wienerin Jürgenssen, die mit diversen Formaten und Techniken stets experimentierte, bilden den ebenbürtigen Gegenpart. Die junge Amerikanerin arbeitet modern, seriell und exaltiert konzentriert. Durch die Vielfalt kunsthistorischer Referenzen werden die kulturell vorgegebenen (Geschlechts-)Normen nicht fixiert, sondern verschoben und im eigenen Machtdiskurs rekontextualisiert. Das vieldiskutierte Eskamotieren des Subjekts, also sein Verschwinden und Verstecken kann sowohl als Symptom der Widerständigkeit als auch als Fragilität des Daseins aufgefasst werden. Die Birgit Jürgenssen Werkschau abschließende Arbeit Kresseschuh wird in Kunst Meran in einer Tischvitrine gezeigt. Zu sehen sind sieben aus Gips gegossene, mit Kressekeimen bepflanzte Schuhsohlenabdrücke, von denen einer grünen sollte. Die von der symbolischen Prägnanz (die Zahl sieben weist auf die Genesis hin) und ökologischen Demut getragene Arbeit erfasst materiell die Spur des Dahinwanderns. Das FußgängerIn-Subjekt ist jedoch nicht in Sicht. Dafür aber die Dynamik der Spur und das Durchhalten der Ambivalenz anhand der die Künstlerin Geschlechter neutrale Subjekt- und Körperkonzeptionen innerhalb der eigenen Schöpfung mitreflektiert. Und weil wir in Meran sind, kann man dann als abwesend-anwesende Subjekte die „personal stories“ von historischen Figuren wie dem Hl. Franziskus oder die überall in dieser Gegend durch ihre Wanderwege präsente Kaiserin Elisabeth von Österreich sich in Erinnerung rufen. In Wien gibt es bereits eine Straße, die Jürgenssenweg benannt wurde.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Francesca Woodman und Birgit Jürgenssen Werke aus der Sammlung Verbund Wien
27.06 - 20.09.2015

Kunst Meran | Merano Arte
39012 Meran, Laubengasse 163
Tel: +39 473 212643, Fax: +39 473 276147
Email: schnitzer@kunstmeranoarte.org
http://www.kunstmeranoarte.org
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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