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Danke für ihre Zeit!

Selbstvermarktung im Wandel Kann sich noch jemand daran erinnern, dass es eine Zeit gab, in der Eigenlob stank? Eine Zeit, in der in privaten Konversationen versucht wurde, die Arbeit als Thema zu vermeiden, da beruflich-interessensgeleitete Gespräche entweder als Erkennungsmerkmal von halbseidenen Versicherungsvertretern, oder als Bürde für Ärztinnen, Politiker oder Rechtskundige galt? Gerade im nonchalanten Wien galt es lange Zeit noch als geboten, allzu pragmatische Fragen nach Beschäftigung und Erwerb eher nichtssagend bis kryptisch zu beantworten. Dann erntete man auf Fragen wie »Was machst Du?« Antworten von Künstlern und Künstlerinnen wie »Nix Gscheits!«, oder der Fragesteller wurde von berühmten DJs mit präzisen Antworten wie »Auflegen!« in die Wüste geschickt. Natürlich war dieses Verhalten prätentiös, da man im kleinräumigen Biotop damit rechnen konnte, dass andere über die eigenen Meriten berichten würden, doch es war symptomatisch für eine Situation, in der der Zwang zu Selbstdarstellung und Selbstverwertung noch nicht endemisch geworden war. Um hier nicht zu romantisieren, sei hinzugefügt, dass dies auch die Zeit war, in der niemand daran dachte, Gesprächsteilnehmende einander vorzustellen, und in der Bemühungen zur leichten Konversation mit Neuankommenden gerne als »oberflächlich« bezeichnet wurden. Ein derartiges Klima führte zwangsläufig zu erhöhter Unsicherheit im Umgang mit der Frage, wie denn jemand »passend« auf sich und seine Leistungen aufmerksam machen könnte? Dies war für Künstler und Künstlerinnen immer eine zentrale Herausforderung, doch die umfassenden Flexibilisierungen der letzten Jahrzehnte verselbstständigten auch viele andere Berufe, und unterwarfen sie damit fortwährendem Werbe- und Informationsdruck. In einer solchen Transformationssituation entstanden Gesprächsmuster, die eher von Unsicherheit als von Effizienz gekennzeichnet waren: Unterwürfigkeit und »Charme« wurden ebenso ins Spiel gebracht, wie Endlosmonologe oder andere Dominanzgesten, mit denen die Einlösung von angeblichen Informationsholschulden eingemahnt wurden. Den Gegensatz dazu bildete der US-amerikanische Kontext, dessen hoch formalisierte Gesprächs- und Eigenlobbyingkultur im deutschsprachigen Raum nur so lange misstrauisch beäugt wurde, bevor sie zur Leitwährung des internationalen Kunstbetriebs wurde. Deren Kernsatz könnte lauten, dass Selbstdarstellung akzeptabel ist, wenn ihr eine Höflichkeitsübung vorangestellt wird und alle Beteiligten ein Mindestmaß an gegenseitigem Interesse aufbringen. Über Einstiegsunsicherheiten hilft idealerweise die vorstellende Person hinweg, die mit zweckdienlichen Intros die Brücke zur Eigenpromotion legt. Doch auch die Selbstvorstellung ist akzeptabel, wenn sie mit guter Begründung und in einem zwanglosen Moment erfolgt. Über allem schwebt dann noch die Anforderung sorgsam mit der Zeit der anderen umzugehen. Gerade die Zeitökonomie des semi-professionellen Small Talk ist dabei zu Beginn mit Kränkungspotenzialen behaftet, da die wechselseitige Aufmerksamkeitsspanne in hierachielastigen Situationen selten gleichmäßig verteilt ist. So berichtete ein Fernsehkorrespondent davon, dass sich interessierte Gesprächspartner/innen häufig schnell verabschiedeten, wenn sich herausstellte, dass der »TV-Journalist« nur einen europäischen Kleinstaat mit seinen Nachrichten beliefern konnte. Doch die Kürze kann auch falsch verstanden werden, da es als ein Gebot der Rücksichtnahme gilt, einen Gesprächspartner in einem sozialen Setting nicht zu monopolisieren. Einen Eindruck davon, wie sehr sich ein bestimmter Code mittlerweile auch global durchgesetzt hat, kann jeder gewinnen, der nun hierzulande auf Bezeugungen wie »Danke für Ihre Zeit« am Ende von Terminen stößt. Und natürlich folgt auch im Wien der Gegenwart auf die Frage nach dem Broterwerb kein kryptisches Ausweichmanöver mehr: Die Fähigkeit sich mit gut eingeübten Vorstellungen aktueller Projekte auf den Markt zu werfen, oder mit prägnanten Kurzlebensläufen gleich zu Gesprächsbeginn Beauftragungspotenziale zu signalisieren, hat sich so flächendeckend verbreitet, dass man Newcomer/innen fast schon raten müsste, sich wieder als verrätselte, leicht verstummende Wesen zu stilisieren. Der tiefere Grund für die weitgehende Anpassung der Selbstdarstellungsüblichkeiten liegt in der bereits erwähnten Veränderung (nicht nur) der kreativen Ökonomien, in denen mittlerweile von allen Mitwirkenden erwartet wird, eilfertige Verkäufer/innen ihrer Ware zu sein. Selbstredend gilt dieser Befund auch für den »Lieferanten« dieser Zeilen. Doch auch in den schönen neuen Welten der Selbstdarstellung beginnt es zu ächzen, da es für viele schwieriger wird, die dafür notwendige Erfolgsgewissheit aufzubringen. Zwar verschaffen immer bessere digitale Kommunikationsmöglichkeiten neue Möglichkeiten dafür, ein Angebot hinauszurufen, doch zugleich wird klar, dass viele rufen und nur wenige hören. In Zeiten wirtschaftlicher Destabilisierung scheint es für viele schwieriger zu werden, durch selbstbewusste Wiederholung von Erfolgsgeschichten den kommunikativen Boden für deren Fortsetzung zu legen. Es gehört zu den Hochseilakten im neoliberalen Selbstvermarktungszirkus, gerade dann Zuversicht und Stabilität ausstrahlen zu müssen, wenn das Netz gerade löchrig wird. Obwohl selbst das Klagen bisweilen seinen ökonomisch-strategischen Hintergrund hat, ist es doch ein Hinweis auf tatsächliche Verschärfungen, wenn im Gespräch auch wieder die Worte »Miete«, »Kredit« oder »Ratenzahlung« zu hören sind, wo lange Jahre nur »Auftrag«, »Projekt« oder »Waldviertel« zu hören war. Doch wir hören auch »Teilen«, »Ausborgen«, »Tauschen« und »Schenken«. Wir hören Hinweise auf Ökonomien, zu deren Voraussetzungen nicht nur Selbstanpreisung, sondern ein offener Austausch über Notwendigkeiten und Möglichkeiten zählen.
Mehr Texte von Martin Fritz

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Danke für diese „ökonomischen“ Worte
Subhash | 19.05.2015 10:21 | antworten
Vielleicht kommt bald die Zeit, wo wir die „Ich-Stärke” wieder mit „Wir-Stärke” ausgleichen.

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