Werbung
,

Pionier & doch vergessen

„Nun, meine Zeit wird schon noch kommen, entmutigen kann mich diese Sabotage jedenfalls nicht…“, sinniert Hans Christiansen 1941 in einem Brief etwas verbittert. Der Künstler hatte eben seinen 75. Geburtstag begangen, offensichtlich eher im Stillen als -wie wohl erwartet- medial begleitet und als er vier Jahre später starb, war er weitestgehend in Vergessenheit geraten. Nun, sieben Jahrzehnte später scheint die Zeit gekommen, Hans Christiansen mit einer umfassenden Monographie und einer Ausstellung an vier für sein Leben und Werk nicht unbedeutenden Destinationen zu würdigen. Nach der Darmstädter Mathildenhöhe nun das Berliner Bröhan-Museum, gefolgt von der Villa Stuck, München und einer Präsentation am Museumsberg Flensburg. Die Ausstellungen freilich passen sich mit den verfügbaren Exponaten den örtlichen Gegebenheiten an, die Publikation ihrerseits breitet umfassend und frei von jeglicher Wertung, wie es sich für monographische Darstellungen gehört, Leben und Werk des Künstler in allen seinen Stationen aus. Geboren 1866 in Flensburg wurde Christiansen vorerst als Dekorationsmaler ausgebildet, bevor er sich an der Kunstgewerbeschule in München fortbildete und sich schließlich in Hamburg als Fachschullehrer und Dekorationsmaler niederlassen sollte. Eine Reise zur Weltausstellung nach Chicago 1893, wo er erstmals mit japanischer Kunst und Arbeiten von Louis Comfort Tiffany in Berührung gekommen war, werden zum Auslöser für eine weitere Reisetätigkeit, um sich schließlich für einige Jahre in Paris niederzulassen. Die „Errungenschaften der französischen Kunst“ wollte er an der Seine auf sich einwirken lassen weil dort, wie er es in einem Brief formulierte „grosse Bildhauer sich nicht scheuten, eine einfache Vase zu formen, grosse Maler, ein Plakat zu zeichnen“. Und der Aufenthalt bleib für den Künstler nicht ohne künstlerische Wirkung. Seine grafischen Entwürfe zeigen Anleihen an Vorbilder wie Toulouse-Lautrec, Alphonse Mucha oder Théophile Steinlen, Möbelentwürfe aus dieser Zeit geben sich inspiriert von der französischen Ausprägung der art nouveau. In Paris noch bekommt Christiansen noch den Auftrag für die eben gegründete Zeitschrift „Jugend“ Entwürfe zu liefern, jener Publikation, die einer stilistischen Epoche ihren Namen gab. Dies war auch dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen nicht entgangen, der auf der Suche nach geeigneten Gesamtkunstwerkern für seine Künstlerkolonie, Christiansen nach Darmstadt engagiert. Noch vor Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und den Anderen wird er zum „Erstberufenen“ auf der Mathildenhöhe und retrospektiv kann man heute sagen, er war damit am Höhepunkt seiner Karriere angekommen. Hans Christiansen versucht sich in zahlreichen Bereichen der Kunst und des Kunstgewerbes, doch seine Stärken liegen eindeutig in der Gebrauchsgraphik. Mit den innovativen Plakatentwürfen wird er zum Vorreiter mehrerer Generationen, manche seiner Entwürfe grenzen in ihrer Reduktion an die Zeichenhaftigkeit von Piktogrammen, die Farbkombinationen sind nachgerade verwegen. Auch für Werbeetiketten und Modeillustrationen hat der Künstler ein großes Talent, was ihm die Möglichkeit eröffnet hätte, in den 1920er Jahren als Modedesigner für das Berliner KaDeWe anzuheuern. Eine Option, die er sich aufgrund völlig kruder philosophischer Thesen und Publikationen selbst wohl selbst verbaut hat. Als er sich in der NS-Zeit weigert, seine jüdische Ehefrau zu verlassen, wird Christiansen ein Berufsverbot auferlegt, als er 1945 stirbt, ist er längst in Vergessenheit geraten. Betrachtet man heute das grafische Werk, muss man sagen, sehr zu unrecht. -- Publikation: Hans Christiansen - Die Retrospektive: Hrsg. Ralf Beil, Dorothee Bieske, Michael Fuhr, Philipp Gutbrod, Texte von Ralf Beil, Dorothee Bieske, Michael Fuhr, Philipp Gutbrod, Claudia Kanowski, Margret Zimmermann-Degen, Gestaltung von Gabriele Sabolewski. Hatje Cantz; 2014. ca. 212 Seiten, ca. 190 Abb. ISBN 978-3-7757-3896-5 Ausstellungsstationen: Bröhan Museum Berlin 18.2.–24.5.2015 | Museum Villa Stuck 18.6.–20.9.2015 | Museumsberg Flensburg 11.10.2015–17.1.2016
Mehr Texte von Daniela Gregori

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: