Kunstgeschichte
Ein paar Bemerkungen zur disziplinären Kunstgeschichte aus Anlass der aktuellen „Causerie du lundi“ von Thomas Trummer. In der Kunstgeschichte, auch wenn sie sich jetzt Kunstwissenschaft nennt, wird der Unterschied zwischen Bild und Kunst, als sei dies lässlich, verschliffen. Die meisten Beiträge, die die akademische, disziplinäre, universitäre Kunstgeschichte liefert, behandeln beide Begriffe synonym. Dabei gibt es ein wunderbares Kriterium der Unterscheidung. Kunst folgt, mit einer schönen Argumentation aus den „Mythologies“, den „Mythen des Alltags“ von Roland Barthes einem „sekundären semiologischen System“. Das greift, wenn man ein intaktes Zeichen, das sich aus Signifikant und Signifikat zusammensetzt, in einem zweiten Zugang als reinen Signifikanten betrachtet. Das Signifikat dazu ist dann jener Begriff, den wir alle kennen. Durch den Mechanismus des sekundären semiologischen Systems wird aus dem Bild „Kunst“. Für Barthes bedeutet dieser Mechanismus Mythologisierung. Die Kunstgeschichte müsste als Produkt einer Ausdifferenzierung der Wissenschaften eigentlich Aufklärungsarbeit leisten und den Mythos jedenfalls hinterfragen. Aus vielerlei Gründen, Pierre Bourdieus Hinweis auf das mit „Kunst“ verbundene Prestige ist sicher einer der maßgeblichen, leistet die Kunstgeschichte diese Aufklärungsarbeit nicht nur nicht, sondern ist eine eifrige Zuträgerin zum mythischen Areal „Kunst“. Daran hat der Trend zur Bildwissenschaft, an dem sich die Kunstgeschichte seit einigen Jahrzehnten abarbeitet, überhaupt nichts geändert. Wie gern einmal im Verlauf ihrer Karriere borgt sich die Kunstgeschichte ihre Methoden von der jeweils aktuellen Kunstproduktion. Im Fall der Bildwissenschaft sind es die Thesen und Theorien der Conceptual Art, etwa Victor Burgins „Situational Aesthetics“, dank deren es genügt, „ästhetische Wertschätzung“ an den Tag zu legen, um Phänomene als „Kunst“ zu autorisieren. Die Bildwissenschaft hat ihre Bilder durch die Situationsästhetik längt mit Kunstcharakter ausgestattet. Sie hat die Bilder zu „Kunst“ geschlossen, jetzt sind sie offen für die Interpretation.
Gabriel von Max, Affen als Kunstrichter, ca. 1889
Seit fast einem Jahrhundert sind der Kunstgeschichte die Quellen versiegt. Die heroische Zeit der Dokumentierung, Zuschreibung, Systematisierung und vor allem Beweisführung mittels historischer Belege ist lange vorbei. Seither ist die Kunstgeschichte jene Praxis des Interpretierens, für deren Theorie sie sich hält. Längst sind alle Schleusen des Schwadronierens offen, und die Essenz eines „Kunstwerks“ ist dann das, was einem dazu gerade einfällt. Erwin Panofsky ist die Schlüsselfigur dieses Prozesses. Er hat als ultimative Dimension eines „Kunstwerks“ jenen „Dokumentsinn“ festgelegt, in dem eine „ungewollte und ungewusste Selbstoffenbarung“ des Künstlers zutage tritt. Der Künstler weiß letztlich nicht, was er treibt, doch der Kunsthistoriker weiß es um so besser. Die Kunstgeschichte umgibt die Objekte ihres Interesses mit vielerlei – manchmal gut, öfter allerdings schlecht – Gesagtem. Dass ihre Texte gern nichts anderes als miserabel sind, liegt gerade auch an der wohlfeilen Teilhabe am Mechanismus der Mythologisierung. Das Bild, das als Kunst ohnedies als besonders, herausragend, kanonisch gilt, wird so behandelt, als übertrage es seine Qualitäten auf den Text. Der Bezug Bild – Interpretation gewinnt eine Dimension des Magischen, der Interpret wird zum Eingeweihten. Aufklärung ist das Gegenteil davon.