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Hauptstadt der Bewegung

Die Neue Münchner Secession war alles andere als die Speerspitze jener Avantgarde, für die die Stadt in den Jahren davor notorisches Ansehen gewonnen hatte. Dennoch sah sich die Gruppierung zu einer Stellungnahme veranlasst, nachdem es auf der Frühjahrsausstellung 1915 zu wüsten Szenen gekommen war. Das Dementi geht, fast zwanzig Jahre vor der NS-Machtergreifung geschrieben, unter die Haut: „Man nennt uns entartet und irrsinnig, Jugendverderber, Unratsverbreiter und Nachschleicher der Kunst unserer Feinde, kurz Verräter am deutschen Geiste. Diese sinnlose Anmaßung weisen wir zurück, die Beschimpfungen prallen an uns ab.“ Der Jargon der Angriffe ist bereits von aller Einschlägigkeit, und natürlich prallen die Beschimpfungen nicht ab am Kunstgeschehen. Heinrich Thannhauser etwa, der Pilotgalerist, der Herbergsvater des „Blauen Reiter“, hat nunmehr die folgenden Attraktionen in seinem Programm: 1916 „Kriegsbilder“, 1917 Carl Spitzweg, 1918 „Münchner Malerei 1870 – 1890“. Es heimelt und tümelt, und es schreit kulturell nicht weniger zum Himmel als militärisch. Die Hauptstadt der Moderne war im Begriff, zur Hauptstadt der Bewegung zu verkommen. Von hier nahm Hitler seinen Aufstieg, hier kam es zum Putsch, hier fand er das Bürgertum, ohne dessen Unterstützung die schleichende Auflösung aller zivilen Bindungen unmöglich war. Wie es weiterging, weiß man, gerade wird versucht, mit gewissen Arten von Gedenken an das Endes seines Treibens auf Erden zu erinnern. Am heutigen Donnerstag ist der größte Führer aller Zeiten seit 70 Jahren tot. Am heutigen Donnerstag eröffnet in seiner Stadt ein Neubau, dessen umständlicher Name „NS-Dokumentationszentrum München – Lern und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus“ schon alle Widrigkeiten der Realisierung umschreibt. Speziell die Umtriebe von Hitler und seinen Schergen in München stehen im Fokus der Darstellung. NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Jens Weber Der kubische Block erhebt sich an der Stelle des Parteihauptquartiers, des sogenannten „Braunen Hauses“ in der Brienner Straße, das 1947, zerstört, wie es ohnedies war, abgerissen wurde. Ums Eck liegen die beiden Sockel, die von den Ehrentempeln für die alten Kameraden, die beim Hitlerputsch ihren frühen Tod fanden, am Königsplatz übriggeblieben waren. Und es stehen in allem Stolz die Paradebeispiele von Nazi-Architektur, die einst als Führerbau und als Verwaltungsbau bezeichnet wurden und heute allerlei kulturelle Einrichtungen, die Musikhochschule, das Zentralinstitut für Kunstgeschichte, die Uni-Abteilungen für Archäologie und Ägyptologie etc., beherbergen. Die Kunst exorziert seit langem das Grauen. Nehmen wir den Ort zum Anlass, einen zu Wort kommen zu lassen, der wusste, dass Hitler umgekehrt vor allem auch ein Künstler war. Schräg gegenüber des Areals, wo nun erinnert und dokumentiert wird, hatte Alfred Pringsheim sein berühmtes, von großbourgeoiser Kulturbeflissenheit angefülltes Palais. Müßig zu erwähnen, dass die Nazis es ihm nahmen. Er war der Schwiegervater von Thomas Mann, und der nun schrieb aus dem Exil jenen Essay, in dem er 1939 den ominösen Zusammenhang auf den Punkt brachte. Titel des Aufsatzes: „Bruder Hitler“. „Muß man nicht“, schreibt also Thomas Mann, „ob man will oder nicht, in dem Phänomen eine Erscheinungsform des Künstlertums wiedererkennen? Es ist, auf eine gewisse beschämende Weise, alles da: die ‚Schwierigkeit’, Faulheit und klägliche Undefiniertheit der Frühe, das ‚Nicht-unterzubringen-Sein’, das ‚Was-willst-du-nun-eigentlich?’, das halb blöde Hinvegetieren in tiefster sozialer und seelischer Boheme, das im Grunde hochmütige, im Grunde sich zu gut haltende Abweisen jeder vernünftigen und ehrenwerten Tätigkeit – auf Grund wovon? Auf Grund einer dumpfen Ahnung, vorbehalten zu sein für etwas ganz Unbestimmbares, bei dessen Nennung, wenn es zu nennen wäre, die Menschen in Gelächter ausbrechen würden. Dazu das schlechte Gewissen, das Schuldgefühl, die Wut auf die Welt, der revolutionäre Instinkt, die unterbewußte Ansammlung explosiver Kompensationswünsche, das zäh arbeitende Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, zu beweisen, der Drang zur Überwältigung, Unterwerfung, der Traum, eine in Angst, Liebe, Bewunderung, Scham vergehende Welt zu Füßen des einst Verschmähten zu sehen.“ Die Motorik von Bewegung, es lässt sich nicht leugnen, hat ein ästhetisches und ein politisches Drehmoment. München war ihr in beiderlei Hinsicht eine Hauptstadt. Und Hitler ist ihre doppelte Personifikation.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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