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Kriegsende

1862 lernte der Präsident die Literatin kennen und begrüßte sie mit den zwar nicht belegten aber sehr passenden Worten: „Das ist also die kleine Frau, die das dicke Buch schrieb, das zu dem großen Krieg führte.“ Im Jahr davor hatte Abraham Lincoln sein Amt angetreten, Harriet Beecher-Stowes Weltbestseller „Onkel Toms Hütte“ war vor zehn Jahren erschienen. Der amerikanische Bürgerkrieg sollte in der Tat die gleiche Frage behandeln wie das Buch: Wie hält es eine Nation, in der über die geografischen und ökonomischen Trennlinien hinweg rassistische Weiße dominierten, mit der Sklaverei. Vor 150 Jahren, am 8. April 1865, wurde die Frage mit der Kapitulation der Südstaaten beantwortet. Am 14. April büßte Lincoln seinen historischen Sieg mit dem Leben. John Wilkes Booth ist aktenkundig geworden als der Mörder. Er war ein sehr bekannter Schauspieler, gut aussehend, gut verdienend, ein fanatischer Anhänger der Konföderierten. In Ford`s Theatre, einige Straßen vom Weißen Haus, gab man ein Stück namens „Our American Cousin“, Lincoln saß mit seiner Frau in der Loge, die Schüsse in den Hinterkopf waren tödlich. „Sic semper tyrannis!“, soll Booth gerufen haben, die Formel, dass es den Tyrannen früher oder später immer so ergehen würde wie im Augenblick dem Präsidenten, war das Motto Virginias, dem Anführerstaat des Südens. Der Süden hatte immer die Moral auf seiner Seite gefunden. In branchenüblicher Spitzfindigkeit erachtete man sich als redlicher, weil man zwar Schwarze ausbeutete, aber wenigstens nicht auch noch humanen Fortschritt heuchelte wie der Norden. Sklaverei brachte die Sache immerhin auf den Punkt, während in den Industrien des Nordens, in Philadelphia, Baltimore und vor allem im aufstrebenden Chicago, das seine Einwohnerzahl von 1840 bis 1860 auf mehr als 100.000 verzwanzigfacht hatte, eine riesige Proletarierarmee entstanden war. Die Beziehungen des Kapitalisten zu seinen Arbeitern waren nicht mehr patriarchalisch, und so gingen die Brutalitäten anonym über die Bühne, während sie im personalisierten Süden sozusagen auf Augenhöhe passierten. Die Nation jedenfalls, im Präsident repräsentiert, schaffte die nominelle Form der Sklaverei ab. Der Süden organisierte seine Secession (und gab der Kriegspartei von der Künstlerfront, der Avantgarde, eine Idee ein). Das Ergebnis ist bekannt. Der Krieg, der sich vier Jahre hinzog und eine Million Opfer forderte, mehr als in allen anderen Schlachten der USA zusammen, ist der einzige in der Geschichte, bei dem einander Kontrahenten gegenüberstehen, die jeweils demokratisch verfasst sind. Um so ideologischer, moralisch verbrämter musste er geführt werden Die Gemeinsamkeiten, die sich durch Unabhängigkeit, New Frontier und Amerika-Idee aufgebaut hatten, wurden fortan um des einen juristischen Unterschieds, der ohnedies wenig über die Lebensbedingungen zu sagen hatte, gering geachtet. Damit war ein Präzedenzfall geschaffen: Kriege werden im Kopf gewonnen. Lincoln war Republikaner. Noch heute haben deswegen die Demokraten im Bible Belt eine sichere Bank bei Wahlen, was zählt deren Tendenz nach links gegen eine Jahrhunderte überdauernde Nachtragendheit. Und noch längst, als hätte der Süden es immer schon gewusst, bedeutet eine Sklaven- nicht notwendigerweise eine Schwarzenbefreiung. Die Welt blickt gerade auf Charleston, wo sich ein weißer Polizist auf leider allzu bekannte Weise an einem Afroamerikaner schadlos hielt, aber diesmal dabei auf einem Film festgehalten wurde, der gewissermaßen dokumentenecht ist. Charleston in South Carolina war die vorletzte Stadt, die der Süden vor seiner endgültigen Kapitulation aufgeben musste. Damals.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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