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Kunst und Mode

Jean-Paul Gaultier im Pariser Grand Palais. Karl Lagerfeld in der Bundeskunsthalle in Bonn. Alexander McQueen im Victoria & Albert (der 2011 schon im Metropolitan Museum zu sehen war). Und im Lentos in Linz eine Sammelschau zu Mode und Vergänglichkeit, betitelt „Love & Loss“. Kleidermacher haben Konjunktur in der Gegenwart, und das nicht nur, weil die Luxusindustrie als eine der wenigen ungebrochen boomt. Was sich hier zeigt, in Häusern, deren Domäne die Ausstellung von Kunst ist, läuft auf eine Synonymisierung hinaus. Die Mode ist Kunst. Sie ist nicht eine Kunst, eine jener Künste im Plural, die einst mit Handwerk, Technik,Virtuosität verbunden waren. Die Mode ist Kunst im Singular. „Die Mode nach der Mode wird zu einer neuen Gedächtniskunst“, steht es in Barbara Vinkens Klassiker zum Thema geschrieben, ihrem 1993 erschienenen „Mode nach der Mode. Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts“. Der Linzer Ausstellung liefert Frau Vinken jetzt auch die Programmatik, und die hat mit Gedächtnis zu tun. Im Anschluss an die Denkmaldiskussion der Achtziger gewinnt das Gewand somit Ästhetizität als Memorialbau. Von der Mode aus lässt sich Erinnerung steuern: Ein solches Credo steht in dezidierter Nachfolgeschaft zu Walter Benjamin, und der steht natürlich auch jetzt Pate. Dabei hat der Altmeister der Spurensicherung durchaus auf eine Differenz wert gelegt. Der Unterschied zwischen Mode und Kunst, so ließe sich Benjamins Verständnis zusammenfassen, besteht im Unterschied des Additiven zum Kumulativen: Moden lösen einander ab, sie gehen auf in der Gegenwärtigkeit und jede für sich geht spurlos zu Grunde; Kunst dagegen funktioniert in aufsteigender Bewegung, sie lässt sich nicht einfach vergessen, sondern fordert die Berücksichtigung mit Ihresgleichen. Dieses modernistische Konzept findet bei Barbara Vinken und in der Ausstellung im Lentos seine postmoderne Uminterpretation. Und zwar eine bemerkenswerte: Nicht wird die Kunst degradiert zum ihrerseits Kurzzeitspektakel, sondern umgekehrt die Mode aufgewertet zu einer der beispielhaften Lösungsketten, die von Reflexion, dem Bemühen um Veredlung und dem Wissen um die Vorgängerschaften geknüpft werden. Die Gewährsfiguren von „Love & Loss“, Gaultier, McQueen, Rei Kawakubo, die Gründerin von Comme des Garcons, pflegen auf ihre Art die Ästhetik immer schon als Retromanie. Ausstellungsansicht, Love & Loss. Mode und Vergänglichkeit im LENTOS Kunstmuseum Linz, Foto: Reinhard Haider Revival-Kulte sind in ihren Coutures beabsichtigt, Recyclings beliebt. Wer sich bewusst anzieht, versteht sich so als Gemengelage aus Sedimentierungen, die sich in Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten abgelagert haben. Das ist auch biografisch gerechtfertigt, denn die Wiederverwertung greift zurück auf eigene, einst für authentisch gehaltene Rituale. Im Älterwerden, das keine Rückversicherung in der Vergangenheit ungeschehen machen kann, meldet sich die Vergänglichkeit dann von selber. Es ist paradoxerweise von vornherein ein rückwärts gewandter Begriff, dessen es bedarf, um Mode Kunst werden zu lassen. Schaut man weniger nach hinten, darf man weiterhin durchaus auf einer Differenz beharren. Sie hat etwas mit Verfügbarkeit zu tun, mit Inklusionen und Exklusionen und den Revieren, in denen sie stattfinden. In einer Welt der Trendscouts und des zwanghaften, von tausend Kameras festgehaltenen Anspruchs auf Karriere geht die Mode mehr denn je den Weg vom Großen ins Kleine: Mode unterscheidet sich von Kunst, weil sie der weltweiten Verbindlichkeit bedarf, um sich in die kleinen Existenzen derer, die sich ihr verpflichten, fortzupflanzen. Kunst dagegen fokussiert nach wie vor das Marginale, Beiläufige und Selbstgebastelte mit dem Anspruch, es mit Symbolhaftigkeit aufzuladen und damit aus dem Besonderen des unmittelbaren Alltags das Allgemeine einer generellen Gültigkeit abzuleiten. Kunst geht den Weg vom Lokalen zum Globalen, Mode ist einer der Zirkelschlüsse der Globalität: eine Sphäre mehr, die der Kapitalismus zu Tode geritten hat. Bei der Kunst dagegen darf man noch ein ganz klein wenig hoffen. www.lentos.at
Mehr Texte von Rainer Metzger

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