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Weibliche Perspektive

Am 8. März begehen sie den internationalen Frauentag. Außer den diversen Fremd- und Selbstbejubelungen samt angehängtem Bekunden eines Es-gibt-noch-viel-zu-tun wird das Datum wenig gebracht haben. Mir gibt es Gelegenheit, auf ein sensationelles Gemälde zu verweisen, das seit Mitte Dezember in Wien zu sehen ist und es nur noch eine weitere Woche sein wird: in der Ausstellung der Gemäldegalerie der Akademie am Schillerplatz, betitelt „Lust am Schrecken“. Unter den Exponaten befindet sich die Ikone schlechthin der feministischen Kunstgeschichte, berühmt speziell seit der Präsentation „Women Artists 1550 – 1950“ des Los Angeles County Museum, die 1976 die neue Aufmerksamkeit für eine speziell weibliche Dimension von Bilderschaffen auf den Weg brachte. Das Gemälde zeigt Judith, die Protagonistin des Alten Testaments, die, von einem eigenen biblischen Buch bezeugt, einen feindlichen Heerführer namens Holofernes unschädlich machte, indem sie ihm mit dessen Schwert den Kopf abhieb. Die Geschichte selbst treibt natürlich ihre Heroik hervor, und die Malerwelt hat sich das in Sachen Drastik und Deutlichkeit nicht zweimal sagen lassen. Allen voran Caravaggio, der Meister des ins Helldunkel getauchten Gemetzels. Michelangelo Merisi Caravaggio, Judith und Holofernes Noch rabiater geht es bei der Version zu, von der hier die Rede sein soll. Verfertigt wurde sie einige Jahre nach Caravaggio und ihm sichtlich verpflichtet von Artemisia Gentileschi, der einschlägigsten aller Künstlerinnen vor der Moderne. Das Blut spritzt, der Kopf des Holofernes sitzt nur noch lose auf dem Gekröse seines Leibes, und Judith langt noch einmal kräftig zu. Damit man die zupackende Geste en gros und en detail verfolgen kann, verläuft die Komposition nicht wie bei Caravaggio bildparallel, sondern man sieht das wüste Treiben von vorne, peepshow-mäßig sozusagen, und die Magd, die eifrig mithilft, muss dem totgeweihten Körper gar auf die Eingeweide treten. Anders als beim Vor-Bild ist die Magd jung und gut aussehend, und vor allem ist sie tatkräftig. Sie schaut nicht nur zu, wie bei allen anderen Illustrationen zum Thema. Die Frauen helfen aktiv zusammen. Die feministische Kunstgeschichte hat darin ein Stück weiblicher Solidarität wahrgenommen. Im Gemälde, 1612 ins Werk gesetzt, spiegelt sich, und auch derlei trägt natürlich zur Prominenz bei, Artemisia Gentileschis Biografie. Sie war noch nicht einmal zwanzig, als sie daran malte, und hatte gerade eine Befragung hinter sich, die schamlos auf ihre Sexualität zielte. Ein Kollege ihres Vaters Orazio, der selber einen nicht unwichtigen Eintrag im Künstlerarchiv der Zeiten vermeldet, hatte sich an ihr vergangen, er hatte versprochen, sie zu heiraten, sich anschließend geweigert, und es kam zu einem, wie die männlich dominierten Disziplinen es nennen, Prozess wegen Defloration. Im Rahmen wurden dann peinlich-peinigende Untersuchungen am Körper der Künstlerin angestellt. Was sie Holofernes angedeihen lässt, hatte sie auf ihre Weise am Leib erfahren. Artemisia Gentileschi, Judith enthauptet Holofernes Das Gemälde besitzt also eine Qualität, die erst in der Moderne richtig aufs Tapet kam: Es ist authentisch. Und das auch noch in den Kriterien, die erst in der Postmoderne richtig aufs Tapet kamen: Sie sind körperlich, sie sind weiblich, sie markieren die Position des Opfers. Das Werk aus dem Capodimonte in Neapel ist, man sollte es sich nicht entgehen lassen, noch eine gute Woche in Wien zu bewundern. Die beiden Judith-Darstellungen, die ihm benachbart hängen, geschaffen aus den männlichen Perspektiven von Johann Liss und Christofano Allori, sind auch nicht zu verachten.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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